Die Spitze im Laufe der Zeit

Unsere Zeitschrift hatte im Laufe der Jahre schon viele Gesichter, jedoch blieb eines über die Jahre hinweg immer gleich, unser Anspruch mit dieser Zeitschrift aktuell und fundiert über die Themen Spitze und Klöppeln zu informieren.

Nachgelesen:

Korrektur die Spitze 3-2014

Ach Du Schreck, da ist beim Übertragen der digitalen Dateien etwas schief gelaufen.
Der Klöppelbrief für die Kugel “brauner Quirl” von Dr. Ann E. Wild ist leider im Heft “die Spitze 3-2014”, Seite 63, nicht in der richtigen Größe erschienen. Deshalb veröffentlichen wir den korrigierten Klöppebrief hier.

Die Spitze, Deutscher Klöppelverband e. V., Ausgabe 1/98, Seite 49

Ein Besuch in Rapallo ist „Spitze“

Karin Hofele

Jede passionierte Spitzenliebhaberin wird sofort wissen, was ich mit dieser Überschrift meine, wird vielleicht die “Villa Tigullio” in Rapallo selber bereits besucht haben und das Buch über “Il Museo del Pizzo al Tombolo” (1) in der eigenen Spitzenbibliothek als Schatz hüten. Für alle diejenigen, die weder Museum noch Buch kennen, nun dieser Bericht:
Die Villa ist ein Herrensitz aus dem 17. Jh. Sie liegt wunderschön in einem gepflegten Park und beherbergt die Sammlung und alle Unterlagen und Muster der Spitzenmanufaktur des Mario Zennaro. Seine Manufaktur bestand in Rapallo von 1908 bis 1968. Sie beschäftigte in den ligurischen Bergdörfern viele Spitzenklöpplerinnen in Heimarbeit und versuchte so, die Klöppelspitze in unser Jahrhundert hinüberzuretten. Die interessante Geschichte ist im Museumskatalog genau nachzulesen.

Zurück zur “Villa Tigullio”: Ihr Prunkstück ist zweifelsohne die “Commedia dell’Arte”, ein Mosaik aus Spitzenfragmenten, zusammengefügt zu einem Bildteppich von 115 cm Höhe und 810 cm Länge. Ausgeführt wurde diese Arbeit 1964 in der “Manifattura Zennaro“ für einen Ozeankreuzer der Cruise Lines Florida. 1986 kam sie als Geschenk zurück an das Museum. Zusammen mit der Entwurfszeichnung hat man dieses Bildwerk heute in zwei großen Räumen der Villa ausgestellt. Es zeigt Figuren mit verschiedenen Musikinstrumenten fächertragende Damen und galante Herren in ihnen angemessenem Interieur, die dem musikalischen Vortrag zu lauschen scheinen. Man entdeckt beim genauen Betrachten immer wieder neue Details. Die verarbeiteten Spitzenfragmente in den unterschiedlichsten Techniken, seien es Klöppel-, Nadel-, Occhispitzen und diverse Gründe, stammen aus verschiedenen Regionen Italiens und bilden eine Spitzensammlung in sich. Das textile Kunstwerk verzaubert den Betrachter sowohl im Ganzen als auch im Detail, im Entwurf wie in der Ausführung. Mich faszinierte es einen vollen Nachmittag lang so sehr, daß ich die Weiterfahrt in die Cinque Terre aufschob.
Zum Schluß noch eine sympathische Begegnung in Rapallo. Bevor ich die Villa Tigullio fand – ich konnte in ganz Rapallo keinen Wegweiser dorthin entdecken – lernte ich Signore Emilio Gandolfi kennen. Er führt ein kleines Spitzengeschäft im Zentrum von Rapallo, das er von seiner Mutter Emilia übernommen hat. Zwar wird heute ein Teil seiner Spitzen in Asien gefertigt, worauf er ehrlicherweise von sich aus hinwies, doch beschäftigt er auch noch selber einheimische Klöpplerinnen. Er hütet seine alten Klöppelbriefe, von denen ich gerne einen für Corallino-Spitze erworben hätte, aber er erzählte mir ausführlich über die Spitzentradition in Ligurien, erlaubte mir zu fotografieren und schenkte mir zum Schluss, zwei Paar Fuselli (Klöppel) direkt von einem seiner ausgestellten alten Tomboli. Entscheiden Sie jetzt selbst, ob Rapallo nicht auch für Sie einmal zum Spitzenerlebnis werden könnte.

Literatur- und Bildnachweis:
(1) Museumskatalog “Il Museo del Pizzo al Tombolo Rapallo” – La Manifattura Mario Zennaro 1908 – 1968; Sagep Editrice, Genova, 1990

Die Foto dieses Artikels sind aus rechtlichen Gründen hier nicht veröffentlicht. Sie finden den bebilderten Artikel in der Zeitschrift.

Die Spitze, Deutscher Klöppelverband e. V., Ausgabe 3/97, Seite 35-35

Gussi von Reden

Spitzengeschichte aus dem Nachlaß Gussi von Redens

Wer möchte das nicht erleben: Auf dem Dachboden in einer alten Kiste zu stöbern und dabei eine vergessene alte Spitzensammlung zu entdecken? Was sich aus einem solchen Finderglück entwickeln kann, sehen Sie zur Zeit in einer Ausstellung. Dort sind nämlich die vor einigenlahren entdeckten Hinterlassenschaften Gussi von Redens (1867-1945), einer engagierten Spitzenliebhaberin, erstmals der Offentlichkeit zugänglich gemacht worden.
Auguste – sie selbst nannte sich stets Gussi – von Reden entstammte einer Adelsfamilie aus Lippe (Nordrhein-Westfalen), verbrachte ihr Leben aber zu großen Teilen in Potsdam, wo auch ihre Mutter und ihre Schwestern lebten.
Wie viele andere Frauen aus dem Adel und dem Bildungsbürgertum engagierte sie sich im sozialen und im künstlerischen Bereich. So zeigen ihre um 1900 entstandenen Gemälde, Zeichnungen und Skizzen eine auffallende Begabung, die sich auch in ihren Spitzenentwürfen aus späteren Jahren niederschlägt. Wann sich ihr Interesse für Spitzen entwickelt hatte, ist nicht sicher zu sagen. Es wird aber angenommen, daß sie bereits als Mädchen in ihrer Familie mit dem Klöppeln in Berührung gekommen ist (1).

Fest steht, dass sie nicht nur selbst klöppelte, sondern mehrere erfolgreiche Lehrbücher zu dieser Technik verfaßte. So zählt ihr Buch “Klöppel-Spitzen” von 1909, das mehrfach neu aufgelegt wurde und 1993 als Reprint erschienen ist, zu den verbreitetsten deutschsprachigen Klöppellehrbüchern im ersten Viertel dieses Jahrhunderts.
Gussi von Reden lagen jedoch auch andere Handarbeitsgebiete am Herzen. Sie schrieb Anleitungsbücher über Nadelspitze, Ausschnittstickerei und Kunststricken, hielt  außerdem Vorträge und veröffentlichte Zeitschriftenartikel über die Geschichte der Spitze, ihre Verwendungsmöglichkeiten und Fragen der Spitzenterminologie. Ihre Intention bestand – wie sie immer wieder durchblicken ließ darin, Gefallen an handgearbeiteter Spitze zu wecken: “Das beste Mittel zum Verständnis der Schönheiten der geklöppelten Spitzen besteht im Erlernen der schönen Technik” (2). Mit der Belehrung ihrer Leser(innen) verband sich für sie ein soziales Engagement: Sie wollte den Menschen, die in Heimarbeit Spitzen herstellten, zu höheren Einkünften verhelfen. So heißt es im Vorwort ihres Klöppellehrbuchs: “Hunderttausende von fleißigen Heimarbeiterinnen sind all enthalben in Europa damit beschäftigt[,] echte Spitze herzustellen; allein im Erzgebirge und in Österreich sind fünfunddreißig[-] bis vierzigtausend Personen tätig, Spitzen zu klöppeln und zu nähen: ihre so mühevolle Arbeit findet aber nur dann besseren Absatz, wenn Verständnis und Wertschätzung echter Spitzen und die Freude an ihrer Verwendung wieder mehr Eingang in weiten Frauenkreisen finden” (3).
Was ihre Anleitungsbücher von vorherigen Werken abhebt, ist ihre vorzügliche Bebilderung. Fotografien, die für ihre Zeit von ungewöhnlich hoher Qualität sind, ermöglichen ein genaues Verständnis der nötigen Handgriffe. Auch die Texterläuterungen dazu sind offensichtlich zum Selbststudium gedacht und für Anfänger(innen) verständlich. Die Spanne der Spitzenmotive und -muster reicht von historisierenden über streng geometrische hin zu künstlerischen Entwürfen des Jugendstils. Dabei griff Gussi von Reden zum Teil auf Vorlagen bekannter Entwerferinnen wie Leni Matthaei oder Marie Hahn zurück, zum Teil auf eigene, oft mit dem Pseudonym Armgard von Neder gekennzeichnete Muster.
Daß Gussi von Reden sich sowohl für die Verbreitung moderner Entwürfe als auch für die Würdigung alter Spitze einsetzte, spiegelt sich auch in der umfangreichen Spitzensammlung wider, die sie im Laufe der Jahre angelegt hat (4). Ihre historischen Muster – darunter Erzeugnisse der meisten europäischen Spitzenzentren – entstammen einer Zeitspanne vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Bei den meisten Stücken handelt es sich um Bortenabschnitte oder Fragmente, die sich in erster Linie zur didaktischen Verwendung anboten. Einen Teil der Spitzen heftete die Sammlerin auf samtbezogene Pappen oder Filz, auf denen sie diese Muster beispielsweise bei Vorträgen präsentieren konnte. Es sind aber auch vollständige Kleidungselemente und Accessoires da runter: Kragen, SchuItertücher, Ärmelvolants (Engageantes), Manschetten und Taschentücher aus Spitze oder mit Spitzenbesatz. Hinzu kommen zahlreiche Spitzen des frühen 20. Jahrhunderts in den verschiedensten Entstehungsstadien, die zum großen Teil für ihre Publikationen geschaffen wurden. Neben reinen Musterstücken – zum Beispiel einem 3,50 Meter langen Band mit 58 Lochstrickrnustern – finden sich Spitzen proben in Form von Borten, Einsätzen, Deckehen und Babyhäubchen. Mehrfach sind zu den fertigen Stücken auch Entwurfszeichnung, Klöppelbrief, Photographie und Buchabbildung erhalten geblieben – zusammen mit Manuskripten und handkorrigierten Druckseiten werden sie zu Zeugen des Entstehungsprozesses der Bücher Gussi von Redens.
Ihre Ergänzung finden die Veröffentlichungen und Spitzen in verschiedenen Handarbeitsgerätschaften, die Gussi von Reden bis zu ihrem Tode aufbewahrt hat. Ihr Klöppelzubehör umfaßt verschiedene Kissen und Ständer, Klöppel und Nadeln, Klöppelbriefe, Garne und angefangene Spitzen. Daneben sind verschiedene Handarbeitsutensilien wie Nadelkissen und -döschen, Stricknadelmappen, Stickrahmen und Abplättmuster erhalten geblieben. Sie sind ein Beispiel für den üblichen Besitz einer handarbeitenden “Dame” zu Beginn dieses Jahrhunderts und spiegeln den hohen Stellenwert der häuslichen Textilarbeit im Leben damaliger Frauen wider, deren gesellschaftlicher Platz sich in den eigenen vier Wänden befand (5).

Henrike Hampe

Anmerkungen:
(1) Uta Ulrich: Gussi von Reden. In: Spitzen des 20. Jahrhunderts – 1900·1950. Hrsg. vom Deutschen Klöppelverband, (Übach.Palcnberg) 1995. S. 168-I7I (hier: S. 169).
(2) In: Gussi von Reden: KlöppelSpitzen.Leipzig 1909. S. 14.
(3) Ebd.
(4.) Die Spitzensammlung wurde für die Ausstellung von Thessy Schoen holzer Nichols (Florenz) restauriert und beschrieben.
(5) Vgl. “Langes Fädchen – faules Mädchen”. Textile Handarbeiten in Erziehung, Beruf und Freizeit. Hrsg. vom Historischen Museum Hannover. Hannover 1993 (Schriften des Historischen Museums Hannover, Bd .3).

Die Foto dieses Artikels sind aus rechtlichen Gründen hier nicht veröffentlicht. Sie finden den bebilderten Artikel in der Zeitschrift.

30 Jahre Deutscher Klöppelverband e. V.

Liebe Mitglieder, liebe Klöpplerinnen und Klöppler,

am 26.3.1983, also vor 30 Jahren wurde der Deutsche Klöppelverband e.V. gegründet.

Zur Erinnerung finden Sie hier das Programm der Gründerversammlung und einen Artikel von Sigrid Daum, der ersten 1. Vorsitzenden des Verbandes, der Ihnen auf lebhafte Weise Eindrücke des ersten nationalen Klöppeltreffens vermittelt.

Wir freuen uns darauf, Sie in diesem Jahr beim 31. nationalen Klöppeltreffen (das inzwischen den Titel Klöppelspitzen-Kongress trägt) in Schönsee zu sehen und uns mit Ihnen auszutauschen.

Wir wünschen Ihnen eine gute Anreise!

Sonnhild Grämer
stellv. Vorsitzende

Programm des 1. Nationalen Klöppeltreffens

Donnerstag, 24.3.1983
20.00 Uhr Dia-Vortrag “Spitzenhauben in Holland” von Frau Dorothee Boelaars,  Holland
Freitag, 25.3.1983
20.00 Uhr Begrüßung – Kennenlernen, Dia- und Filmvorführungen
Samstag, 26.3.1983
09.30 Uhr Autorenvorstellung – Autogrammstunde
10.30 Uhr Ausstellungseröffnung – Wertung durch internationale Jury
14.00 Uhr Versammlung
a) Diskussion und Vorbereitung eines nationalen Verbandes
b) Gründung und Neuwahlen
20.00 Uhr Unterhaltungsabend
Sonntag, 27.3.1983
Möglichkeit zur Besichtigung der Klöppelschule
Besuch eines Gottesdienstes
Rückreise

Resümee

Informationsblatt, Deutscher Klöppelverband e. V., Ausgabe 1 / 83, Beilage
Sigrid Daum

Der kleine, staatlich anerkannte Erholungsort Nordhalben war vom 25.3.-27.3.1983 Treffpunkt von Freunden der Klöppelei aus der gesamten Bundesrepublik. Ca. 600 Einladungen waren von der gemeindlichen Klöppelschule verschickt worden – über 300 Gäste kamen zum ersten nationalen Klöppeltreffen; zusammen mit den Nordhalbener Klöppelfreunden waren es sogar etwa 400 Teilnehmer. Die Resonanz der Eingeladenen war sehr positiv. Viele die nicht kommen konnten, schrieben und gaben ihrer Freude Ausdruck, daß es zu solch einer Begegnung kommen sollte.
Am Donnerstagabend wurde für die bereits angereisten Gäste ein Dia-Vortrag über Spitzenhauben aus Holland geboten. Frau D. Boelaars machte sozusagen eine Rundreise durch Holland und zeigte die verschiedenen Spitzenhauben und erklärte dabei in netter Weise die Eigenheiten und ihre Bedeutung der aus feinstem Garn gearbeiteten Spitzenhauben. Welch eine Vielfalt und Originalität in der Formgebung
wurde da sichtbar.

Dem 1. nationalen Klöppeltreffen wurde auch auf internationaler Ebene sehr viel Bedeutung beigemessen. Das Exekutivkomitee der O.I.D.F.A. (Organisation International de la DenteIle au Fuseau et á l’Aiguille) war der Einladung des Veranstalters gefolgt und traf sich am Freitagnachmittag zu einer Vorstandssitzung.
Am Freitagvormittag wurden die internationalen Gäste, Frau Sally Johanson aus Schweden (Präsidentin der O.I.D.F.A.), Frau Ann Collier aus England (Vizepräsidentin), Frau Mick Fouriscot aus Frankreich (ebenfalls Vizepräsidentin), Frau Dorothee Boelaars aus Holland (Kassiererin), Frau Volande Pauwels aus Belgien (Generalsekretärin), Frau Claudia Gaillard aus der Schweiz (Redakteurin) und Sigrid Daum aus Deutschland, vom 2. Bürgermeister Heinrich Kübrich begrüßt und trugen sich in das “Goldene Buch” ein.

Frau Johanson dankte dem Bürgermeister und allen Nordhalbenern für ihre Gastfreundschaft und stellte fest, daß die Klöppelkunst über Landesgrenzen hinweg freundschaftliche Bande knüpfen helfe. Die französische Vertreterin, Mde. Fouriscot überbrachte Grüße und ein Geschenk des Bürgermeisters von Le Puy, wo die Nordhalbener Klöppelschule im Herbst 1982 zum ersten Mal international aufgetreten war.
Eine Rundfahrt zeigte den internationalen Gästen die Schönheit des Frankenwaldes und vermittelte ihnen einen Eindruck der allzunahen deutsch-deutschen Grenze mit ihren Wachtürmen, Drahtgitterzäunen und Selbstschußanlagen.
Am Freitagabend wurde das erste deutsche Klöppeltreffen in der Turnhalle des Ortes offiziell eröffnet. Bezirkstagspräsident Sitzmann würdigte die Anwesenheit so vieler Menschen aus allen Teilen der Bundesrepublik als Bestätigung, daß die Klöppelei weitergeführt werden müsse. Viele Kenntnisse vom Althergebrachten seien verloren gegangen und es sei erfreulich, daß sich Klöppeln über die Zeiten hinweg behauptet habe. Die Bedeutung des Klöppelns wurde auch in weiteren Grußworten bestätigt.
Da das Programm der Klöppeltage sehr dicht gedrängt war und das Wetter kurz gesagt miserabel war, hatten die Gäste kaum Gelegenheit, sich Nordhalben und die Umgebung anzusehen. Deshalb stellte man den Markt in einem Tonfilm vor. Danach begründete Sigrid Daum in einer ausführlichen Rede die Notwendigkeit des Treffens. Auszüge aus dieser Rede finden sie in diesem Heft abgedruckt. Der Abend war dem Kennenlernen gewidmet. Es sollte transparent gemacht werden, wo und wie in Deutschland  Bemühungen um die Klöppelspitze stattfinden. Im Verlaufe des Abends stellten sich nun Klöppelgruppen, -kurse und -kreise in Wort und Bild vor.

Den Anfang machte Frau van Olffen mit einem überaus interessanten Diavortrag über die “Schneebergspitze” . Dann berichtete Herr Kornbacher über die Klöppelschule in Abenberg und Frau Schöner, Münster, Herr Hempel, Berlin, Frau Laubsch, Erlabrunn, Herr Wilhelm, Ravensburg, und Frau Niklaus-Albrecht, Marktheidenfeld, Frau Stephan, Verden, gaben Einblick in ihre Arbeit mit und für die Klöppelei. Den Abschluß bildete ein Kurzfilm über die Nordhalbener Klöppelschule.
Erster Programmpunkt am Samstagmorgen war die “Autorenvorstellung” in den Räumen der Volksschule. Um die Autoren, die ihre Bücher kurz vorstellten und signierten, herrschte großer Andrang. Vom 26.3. bis 24.4.1983 konnte im katholischen Jugendheim eine Klöppelspitzenaussteilung besichtigt werden. Eröffnet wurde die Ausstellung am Samstag um 10.30 Uhr von Frau Sally Johanson. Im unteren Raum wurden ca. 105 Nordhalbener Arbeiten-gezeigt, die die breitgefächerte Arbeit der Klöppelschule Nordhalben darstellen sollten. Außerdem waren einige antiquarische Stücke aus dem Ausland zu bewundern. In der oberen Etage waren im Aufgang Kopien von Mustermappen aus Schneeberg zu sehen, die um die Jahrhundertwende herausgegeben worden sind. Im Saal waren dann die Wettbewerbsstücke untergebracht (142 an der Zahl), die dankenswerterweise von Klöppelfreunden aus dem ganzen Bundesgebiet zur Verfügung gestellt worden sind.
Die Grüße der Regierung von Oberfranken an den Veranstalter und alle auswärtigen Klöppelfreunde überbrachte Regierungsschulrätin Frau Vogtherr.
Nach dem Mittagessen traf man sich in der Turnhalle, um über die Gründung einer Klöppelorganisation zu beraten. Zu Beginn berichtete Frau Pauwels vom KantCentrum in Brügge über die Entstehung und den Aufbau der O.I.D.F.A. Sie erklärte, daß die internationale Organisation sehr an der Gründung eines nationalen Verbandes interessiert sei und stellte fest, daß das Treffen in Nordhalben beispielhaft für alle Länder sein werde, die noch nicht organisiert seien. Frau Sigrid Daum, die Leiterin der Nordhalbener Klöppelschule, Iegte den Teilnehmern einen Satzungsentwurf vor, der ausgiebig diskutiert, ergänzt und zum Teil verändert wurde. (Nähere Informationen über Zweck und Ziel des “Deutschen Klöppelverbandes finden Sie auf Seite 27).
Nachdem sich spontan 145 Gründungsmitglieder einschrieben, wurden die Vorstandsmitglieder schriftlich gewählt.

Dabei ergab sich folgende Konstellation:
1. Vorsitzende:
Sigrid Daum, Nordhalben
2. Vorsitzende:
Peter Paul Hempel, Berlin
Christa Zimmermann, Holzgerlingen
Kassier:
Renate Dietz, Bamberg
Schriftführer:
Barbara Specht, Nordheim
Pressewart:
Ursula Schöner, Münster
Beisitzer:
Gisela Meisner, Oldenburg
Elisabeth Gareis, Nordhalben
Franz Kornbacher , Abenberg
Christine Laubsch, Kolitzheim
Kässenprüfer:
Lydia Niklaus-Albrecht, Marktheidenfeld
Renate Hörner, Bamberg

Der Samstagabend bot ein Unterhaltungsprogramm, das selbstverständlich auf das Klöppeln bezogen war.
Mit Spannung wurde die Prämierung der Preisträger des Spitzenwettbewerbs erwartet. Die Bewertung erfolgte völlig anonym. Alle Wettbewerbsstücke hatten nur eine Nummer als Bewertungsunterlage. Erst bei der Prämierung am Abend konnte erfahren werden, wer sich hinter der Nummer verbarg. Die Jury hatte sich mit der Auswertung viel Mühe gegeben und durch ein ausgeklügeltes System die Preisträger ermittelt. Die jeweils 1. Sieger wurden mit einem Pokal geehrt. Die jeweils nächsten 4 bekamen eine Zinnmedaille mit dem Nordhalbener Wappen und einer Klöppelspitze auf der Rückseite. Inzwischen wurde eine vollständige Auswertung erstellt und auch die Träger der Platzziffern 6 – 10 bekamen eine Medaille. Für ausländische Klöppelfreunde konnte durch Juryentscheid kein 1. Preis vergeben werden.
Die Übergabe einer Spitzensammlung für das in Nordhalben in Vorbereitung stehende Museum war der nächste Programmpunkt. Der Landrat des Landkreises Kronach, Herr Dr. Köhler, übergab Frau Daum symbolisch die Spitzen, die von der Kreissparkasse Ludwigsstadt anläßlich ihrer 140-Jahrfeier finanziert worden waren. Um den Anwesenden einen kleinen Einblick in die Kollektion zu geben, führte UIi, eine Schülerin der Klöppelschule Nordhalben, ein schwarzes Seidenschirmchen, den passenden Fächer und eine Stola (alles Chantilly-Spitzen) vor. Ein zauberhafter Anblick! Die Singgruppe des Erzgebirgsvereins Wuppertal brachte unter Leitung von Frau Esther Melzer, Lied- und Textbeiträge (unter anderem das “Klippellied” von Anton Günther). Dann überreichte Bezirksrat Heinz Hausmann der ältesten Teilnehmerin (Frau Lampe aus Esslingen) einen Pokal, der zu diesem Zweck vom Schirmherrn, Bezirkstagspräsident Edgar Sitzmann, gestiftet worden war. Frau Lampe ist 82 Jahre alt, hat erst vor einigen Jahren zu klöppeln begonnen und arbeitet in  bewundernswerter Weise mit großer Energie und viel Freude.
Eine Nordhalbener Theater-Laienspielgruppe brachte ein Mundartstück zur Aufführung, in dem Klöpplerinnen mit “Ratzngift” ihren Männern ein Lehre erteilen wollten und zum Schluß doch das Nachsehen hatten. Sehr originell war das Gedicht der “einzigen Nichtklöpplerin” Nordhalbens, vorgetragen von Helga Simon.
Der Abschluß des reichhaltigen Programmes war eine Modenschau der Klöppelschule Nordhalben, in der an über 60 verschiedenen Modellen demonstriert wurde, wie vielseitig Klöppelspitze in Bekleidung Anwendung finden kann. Zum größten Teil waren die Spitzen von den Mannequins (Schülerinnen der Klöppelschule Nordhalben) selbst geklöppelt worden. Auch einige Modelle aus dem Wettbewerb waren eingegliedert worden. Sicher konnten dieser Vorführung einige Anregungen entnommen werden. Das gesamte Abendprogramm wurde musikalisch umrahmt von der Musikkapelle Nordhalben, deren Musiker übrigens alle neue Schlipse trugen mit (wie könnte es anders sein) Klöppelspitze, nämlich einer geklöppelten Lyra.
Am Sonntag, den 27.3.1983 konnte man ab 9.00 Uhr in die Klöppelschule einen Blick werfen. Dabei hatte man die Einkaufsmöglichkeit von Klöppelwerkzeug, Büchern, Material, Postkarten, Souvenirs, usw. Um 9.30 Uhr konnte die hl. Messe besucht werden. Und wie staunten die Besucher, als ihnen Pfarrer Martin eine “Klöppelpredigt” hielt. Er stellte auch im christlichen Leben viele Drehungen und Kreuzungen fest. Die am Vortag neugewählte Vorstandschaft traf sich im Rathaus um 10.00 Uhr bereitszu ihrer ersten Sitzung, bei der die ersten notwendigen Schritte des jungen Verbandes besprochen wurden.

Zum Schluß blieb noch zu sagen, daß die Resonanz der Teilnehmer sehr positiv war. Auffallend war auch die besondere Atmosphäre unter den Teilnehmern. Obwohl doch alle durch mehr oder weniger weite Anfahrtswege ermüdet waren und ein sehr umfangreiches Programm bewältigt werden mußte, behandelten sie sich mit ausgeprochener Herzlichkeit. Geplant war die gesamte Veranstaltung auch als Anstoß für zukünftige Treffen. In diesem Punkt hat sich bereits ein Folgeerfolg eingestellt. Im kommenden Jahr wird ein weiteres nationales Klöppeltreffen stattfinden. Und zwar in St. Andreasberg im Harz. Einladung dazu ergeht zu gegebener Zeit im Informationsblatt des Deutschen Klöppelverbandes. Diese Treffen sind sehr wichtig! Jeder Klöppelfreund, der daran teilnimmt, erfährt neue Motivation dadurch zu neuen und intensiveren Bemühungen um die  Klöppelspitze.
Dieser Rückblick kann uns zwar das Programm aufzeigen und auf die eine oder andere Besonderheit  hinweisen, aber leider läßt sich die Atmosphäre des Treffens nicht konservieren und wiedergeben. Der eine oder andere unter den Teilnehmern verspürt sie aber vielleicht noch.

Die Spitze, Deutscher Klöppelverband e. V., Ausgabe 3 / 96, Seite 46

Zum Tode von Johanna Harre, Hannover

Autorin: Erika Knoff

Im Juni dieses Jahres verstarb in Hannover Johanna Harre. Sie gehörte zweifellos zu den bedeutenden Spitzenentwerferinnen dieses Jahrhunderts. Ihre Ausbildung begann sie in der Kunstgewerbeschule Hannover. Das Bauhaus beeindruckte sie sehr, wieviele ihrer Arbeiten durch die Geradlinigkeit und Klarheit der Musterungen zeigen. Vor dem Zweiten Weltkrieg lehrte sie als Dozentin u.a. an der Meisterschule in Hildesheim.

Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen:

1954 die Bronzemedaille der Internationalen Triennale Mailand,

1958 den Niedersächsischen Staatspreis,

1964 den Bayerischen Staatspreis

und 1975 den Kunstpreis Norddeutschland

Über ihren Werdegang wird auch in dem Buch Spitzen des 20. Jahrhunderts, erschienen beim Deutschen Klöppelverband e.V., berichtet.

Sie galt als die “Meisterin des Leinenschlags”.

Wir wünschten uns, ihre Werke noch einmal in einer Ausstellungsehen zu können.

Dieser Wunsch findet im Jahr 2013 seine Erfüllung. Beim 31. Klöppelspitzen-Kongress in Schönsee können die Besucher Werke von Johanna Harre bewundern.

Vom Muckenwedel zum Flirt-Accessoire

Die Spitze, Deutscher Klöppelverband e. V., Ausgabe 2 / 97, Seite 19-21
Ilske Thomsen

Fächer, Brügger Duchesse, 19. Jh.

Dia-Vortrag auf dem Kongreß in Bühl

Fächer gibt es in heißen Gegenden seit jeher. In solchem Klima ist ein Fächer von unschätzbarem Wert, um Kühle zu erzeugen, sowie als Muckenwedel, wie man im Schwäbischen sagt, also um Fliegen abzuwehren. Die Bevölkerung des Äquatorbereichs darf wohl als Erfinder gelten. Dort verstand man es zu allen Zeiten, Fächer in vielfältigsten Formen aus getrockneten Pflanzenteilen, Stroh und Gräsern zu flechten, zu verzieren und zu bemalen. Bis auf den heutigen Tag sind solche Fächer dort im täglichen Gebrauch. Die einfachste Form war sicher der Wedel, der Tierschweife oder Federn als Vorbild hatte, während der Handschirm dem gestielten Blatt nachempfunden ist. Im alten Persien wurden Fächer auch zum Entfachen des Feuers verwendet. Denn der dem Feuer innewohnende Gott durfte nicht mit dem “Hauche des Mundes” berührt werden. Schnell avancierte der Fächer zum Hoheitssymbol der Herrscher, wie der in Ägypten Pedum genannte Fächer. Er hatte eine halbkreisartige Form, war aus Straußenfedern gemacht und an einer langen Stange befestigt. Eine der höchsten Würden für einen Hofbeamten war, “Wedelträger zur Rechten des Königs” zu werden. Die linke, die noch bessere Seite war jedoch den Söhnen des Pharao vorbehalten. Sie wurden schon bei der Geburt “Wedelträger zur Linken des Herrschers“.

Dieser “neft” genannte Handfächer gehörte einst Tut-anchamun (1380 – 1363 vor Christus), er wurde in seinem Grab gefunden und befindet sich heute im ägyptischen Museum in Kairo. Es ist ein Straußenfederfächer mit gebogenem Elfenbeingriff und den beiden königlichen Kartuschen. Der Griff ist einem Papyrusstengel mit Blütenkrone nachgebildet und so geformt, daß die Hand beim Fächeln nur wenig bewegt werden muß.Von Gemälden und Skulpturen wissn wir, daß in China mindestens seit der Han-Zeit, von 206 vor bis 22 nach Christus, starre Formen wie Fahnen- oder Federfächer existierten.
An langen Stangen befestigte Federfächer aus Straußen- oder Pfauenfedern dienten auch den chinesischen Kaisern als Würde- und Statussymbol. In China wie auch in Japan fächelten Frauen, Männer und Kinder. Rang und Stand der Person schrieben detailliert Art und Ausführung vor. Die Zeremonien waren so kompliziert, daß man den Fächer oft nur dazu benutzte, den endlosen Grußriten zweier Würdenträger gleichen Ranges dadurch zu entgehen, daß man sich dahinter verbarg. Im 7. Jahrhundert zur Zeit des japanischen Kaiser Tenjo soll ein Kunsthandwerker aus der Provinz Tamba den “sensu” genannten Faltfächer erfunden haben. Nach dem Klappprinzip von Fledermausflügeln verband er 25 dünne Zypressenholzbrettchen unten mit einem Dorn und oben mit einer Schnur. Solche bei uns Brisefächer genannten Fächer wurden später meist aus Elfenbein, seltener aus Holz und in den 50er Jahren unseres Jahrhunderts sogar aus Bakelit gefertigt. Die Fächerstäbe wurden dann nach obenhin verjüngt. Man konnte ein Fächerblatt aus unterschiedlichen Materialien anbringen und hatte nun einen Klappfächer.
In der griechischen und römischen Antike wird der Fächer das ganz spezielle Requisit der vornehmen Dame. Die griechische Mythologie schreibt die Erfindung des Fächers denn auch Psyche, der Geliebten Amors, zu. Auch die christliche Kirche bediente sich des Fächers als Würdezeichen. Eine Art Radfächer mit langer Haltestange, Flabellum genannt, wurde von Diakonen und Ministranten bei Prozessionen vorangetragen. Als portugiesische Handelsfahrer 1549 den Faltfächer aus Asien nach Europa brachten, verdrängte er sehr schnell die bis dahin bekannten starren Formen wie Fahnenfächer und Handschirme.Ganz allerdings starben auch sie nicht aus. Außer den Importen aus Asien bot auch der europäische Markt immer mehr kunstvolle Kleinodien in Fächerform an. Die Gestelle aus diversen Hölzern, aus Schildpatt oder Beinwaren geschnitzt und verziert sowie mit Gold, Silber oder Edelsteinen eingelegt. Für die Fächerblätter verwendete man Papier, feinstes Pergament, Seide, Krepp, Gaze oder sehr gern die sogenannte Schwanenhaut, das ist sehr feines Leder, und Spitze. Die Blätter wurden bemalt, entweder à l’anglais, das heißt nur auf der Vorderseite, oder aufwendiger beidseitig. Andere wurden mit Holzstichen oder Radierungen versehen, mit Perlen oder Pailletten verziert oder ganz aus Federn gemacht. Die ersten spitzenartigen Fächer waren aus Vellum, das ist sehr feines aber fältelbares Pergament, sogenannte geschnittene Decoupéfächer, deren Vorlagen in den geometrischen Mustern der Reticella beziehungsweise der Punto-in-Aria-Spitzen zu suchen sind.
Im 18. Jahrhundert wurden dann Fächerblätter Mode mit einem oder drei gemalten Medaillons, die von ebenfalls gemalten Spitzenbändern umrahmt waren. Diese gemalten Spitzenbänder waren so fein ausgeführt, daß man glaubt, die Gründe identifizieren zu können. Woher diese Idee stammt, kann nur vermutet werden. In England soll es im 17. Jahrhundert Usus gewesen sein, wertvolle Gemälde mit in Falten gelegten Volants echter Spitze zudekorieren. Echte Spitzenfächer sind uns seit Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts bekannt, aber leider sind nur wenige Exemplare erhalten. Erst das 19. Jahrhundert ist ergiebiger. Jede Ihnen bekannte Nadel- und Klöppelspitzenart, außer Torchon, fand Verwendung. Am beliebtesten jedoch waren Nadelspitze, Duchesse, Honiton und Chantilly. In der Regel wurden weiße Spitzen auf Perlmuttgestelle und schwarze auf Schildpatt montiert. Ende des17. Jahrhunderts waren Spitzenfächer mit einem auf Seide gemalten Medaillon sehr beliebt. Ab1830 erlebte die Chantillyspitze erneut eine Blütezeit, zu erst in der Normandie und ab 1840 auch in Belgien, später ebenfalls in England und Spanien. Eine Spitze, deren floraler Überschwang unsere Sinne anspricht. Die Bilder wurden immer aufwendiger. Ganze Geschichten wurden erzählt, aber gegen 1870 normalisierten sich diese Übertreibungen. Ganz schnell fand der Fächer auch Eingang in Literatur und Malerei. Kaum ein europäischer Maler, der nicht auf dem einen oder anderen Bild dem Fächer Ehre erweist. Ab Ende des 16. Jahrhunderts war der Fächer in ganz Europa ein wichtiges Modeaccessoire der Weiblichkeit, verbreitete sich peu-à-peu über alle Bevölkerungsschichten und avancierte dann im18. Jahrhundert zum wichtigsten Instrument der Koketterie, zum Zepter über die Männerwelt. Bücher wie zum Beispiel ” Le Livre De Quatre Couleurs”, in dessen erstem Kapitel über 100 verschiedene Arten, “sich des Fächers zu bedienen”, erklärt werden, und die Akademien, an denen man beziehungsweise frau die sogenannte Fächersprache erlernen konnte, unterstützten diesen Trend.
Zur Zeit der Französischen Revolution, die jeglichen Luxus verpönte, darf das Fächergestell nur noch aus einfachen, schmucklosen Holzstäben gefertigt werden. Aber allmählich taucht auf den Seiden- oder Tüllfächerblättern jener Zeit auch wieder Goldflitter oder Perlstickerei auf. Größe und Form der Fächer paßten sich der jeweiligen Kleidermode an. Er bleibt bei maximal 14 cm Höhe, solange die Kleider dünn und schmal sind, um im ausgehenden Biedermeier, als die Krinoline die Röcke bauschte, eine Stablänge bis zu 30 Zentimetern zu erreichen. Gleichzeitig variierte auch der Öffnungswinkel von nur 120 Grad bis teilweise über 180 Crad.

In den Themen der Gemälde auf den Fächerblättern spiegelten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht nur die Inventionen der Maler wider, sondern auch die gesellschaftlichen und politischen Ereignisse der Zeit. So entstanden Fächer, die die französische Revolution oder den Ausbruch des Vesuv 1811 zum Thema hatten. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Fächer auch ungeniert in der Werbung für teure Hotels oder für Parfüm eingesetzt, wie von der Firma Piver in Paris.
Der Jugendstil beschert uns nochmals eine kurze Blüte mit seinen Kunstfächern. Hin und wieder trifft man auch heute auf einer Kunstausstellung auf Fächer. Zum Beispiel 1996 in Braunschweig bei Friedensreich Hundertwasser. Aber im großen und ganzen stellt der Fächer heute einen Dekorationsgegenstand dar, sei es für Waren aus Asien oder auch für Hörgeräte. Im Süden Europas, wo der Fächer – zumindest im Sommer – immer eine gewisse Bedeutung behielt, kann man beobachten, daß er momentan wieder auf dem Vormarsch ist. Besonderer Beliebtheit erfreut er sich bei einem sehr bekannten Modeschöpfer in Paris.
Und dies zum Schluß: Auf einem Fächer der Queen Alexandra, der 1903 montiert wurde, steht auf keltisch folgende Inschrift: “Ich kühle, ich erfrische und ich kann Geheimnisse bewahren”.

Ilske Thomsen

Literatur:
“Der Fächer”, Georg Buss, Sammlung illustrierter Monographien 1904.
“Der Fächer”, Chr. Kammerl, Ausstellungskatalog Karlsruhe 1989, Hirmer-Verlag München.
“Fächer“ Susan Mayor, Christies Collector Series, Callway 1981.
“The Fan and Lace” by Meryl Melville.

Die Foto dieses Artikels sind aus rechtlichen Gründen hier nicht veröffentlicht. Sie finden den bebilderten Artikel in der Zeitschrift.

Das „Herz“ in der Klöppelspitze

Die Spitze, Deutscher Klöppelverband e. V., Ausgabe 3 / 97, Seite 13 f.

Hinriette Heinz für den Arbeitskreis Geschichte

Als “Herzspitze”, im niederländischen “hartenkant”, werden vielfach Klöppelspitzen bezeichnet, bei denen das Herz-Symbol1 das einzige oder das wichtigste Motiv ist. In vielen Klöppeltechniken, in vielen Klöppelzentren, für Spitzen der verschiedensten Verwendung ist zu irgendeiner Zeit dieses Motiv verwandt worden.
Das Symbol “Herz” hat eine große Aussagekraft. Schon in den alten Kulturen, in Indien, Ägypten, bei den Azteken oder im Islam hatte das Herz eine besondere Bedeutung. In altägyptischen Texten heißt es: “Das Herz ist es, daß jede Erkenntnis hervorkommen läßt” und “Das Handeln der Arme, das Gehen der Beine, das Bewegen aller Körperteile – es wird getan gemäß dem Befehl, der vom Herzen ersonnen ist.”2 Hier werden allerdings auch noch Funktionen, die vom Gehirn gesteuert werden, dem Herzen zugeschrieben.
In der Bibel ist das Herz der innere Mensch. “Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz” (1. Samuel 16,7)3. Das Herz wird zum Sinnbild der himmlischen, aber auch der irdischen Liebe sowie der caritas, d. h. der Nächstenliebe. In der darstellenden Kunst wird es in der allgemein bekannten stilisierten Form verwandt.
Es wird zum Attribut vieler Heiliger der römisch-katholischen Kirche, z.B. verweist ein Herz mit einem Kreuz auf Katharina von Siena (Abb. 1), ein von Pfeilen durchbohrtes Herz auf Teresa von Avila und ein flammendes oder strahlendes Herz auf Augustinus.
Infolge der besonders im 19. Jahrhundert geübten Herz-Jesu-Verehrung wurden nicht nur Herz-Jesu-Kirchen gebaut und Monstranzen in Herzform hergestellt, sondern vor allem entstanden auch zahlreiche Gipsfiguren mit dem außen auf der Brust Jesu angebrachten flammenden Herzen4. (Abb. 2)
Ebenfalls wurde die Herz-Marien Verehrung durch entsprechende Bilder und Figuren volkstümlich gemacht. Wie in der christlichen Kunst das Herz-Symbol als Sinnbild für die himmlische Liebe steht, so steht es in der Volkskunst zumeist für die irdische, etwa
– geschnitzt in Holz an Fachwerkhäusern, Möbeln und häuslichen Geräten,
– gemalt wiederum an Fachwerkhäusern,  auf Bauernmöbeln (Abb. 3) und Glasscheiben (Hinterglasbilder etc.),
– in Metall (Eisen, Messing, Silber) geformt, z..B. die Hemdspange, das Hartje, vieler norddeutscher Trachten (Helgoland, Ostfriesland, Blankenese usw.) (Abb. 4),
– an der Halskette der Amrumer Friesin hängen Kreuz, Herz und Anker als Symbol für Glaube, Liebe und Hoffnung5,
– gestickt in vielen bäuerlichen Stickereien, z.B. auf Kissenbezügen, Prunkhandtüchern, Trachtenteilen aus der Winsener Elbmarsch, in der Hessen- und Schwälmer Stickerei (Abb.5)
– und endlich in vielen Spitzen.

Ein besonders schönes Beispiel ist eine Bettdecke, die, angeblich aus dem Besitz von Maria Theresia, sich heute im Musée national du Château et des Trianons, Versailles, befindet. Es ist eine Nadelspitze aus Frankreich oder Spanien von 1660/ 80. Neben heraldischen Figuren, Frauengestalten, Wappen, Pflanzen und Tieren sind in zwei der vier Ecken jeweils nebeneinander zwei Herzen eingefügt.6
Ein sehr altes Beispiel für eine geklöppelte Herzspitze (Abb. 6) findet sich im “Nüw Modelbuch” von 1561, erschienen bei Christoph Froschauer in Zürich. Claire Burkhard hat in ihrem Buch “Faszinierendes Klöppeln” dazu eine Anleitung und einen Brief erstellt.7 Jedoch kann dieser schmale, nur gut einen Zentimeter breite Entwurf nicht nur als Muster für eine Spitze, sondern auch für eine Borte dienen, denn die gleiche Wirkung erzielt man durch das Zusammennähen von zwei oder drei Flechtbörtchen. Auf jeden Fall kann man sie sich gut vorstellen als zierlichen Ausputz am Mieder einer Renaissance-Dame.

Da eine zeitliche Einordnung, d.h. seit wann das “Herz” in den einzelnen Klöppelspitzenarten und -zentren geklöppelt wurde, nicht zu erstellen ist, folgt hier – soweit bekannt – eine Vorstellung, geordnet nach Spitzenarten. Diese wird ergänzt durch Beispiele von besonderen Herzspitzen aus Spitzenzentren, wie z. B. Liebenau oder dem Erzgebirge, die keine eigene Spitzenart entwickelten, sondern bestehende abwandelten. Dazu kommen noch einige Beispiele aus der Gegenwart. Für alle Klöppelspitzen gilt, daß das Herz meistens in Leinenschlag, seltener in Halbschlag ausgeführt ist. Ausnahmsweise, besonders wenn die Herzform größer ist, ist der Leinenschlag durch kleine Durchbrüche (Löcher) verziert, die durch das Drehen von Risspaaren oder dem Laufpaar entstehen (Abb. 7), oder es ist ein Ziergrund, hier der Rosengrund, eingepasst (Abb. 8).

Das Herz in der flandrischen Spitze

Aus den “Alt-Flamischen” Spitzen entwickelten sich im späten 17. und dem 18. Jahrhundert verschiedene Spitzenarten, wie die Mechelner Spitze, die Valencienne Spitze usw.. Zu ihnen gehört auch die flandrische Spitze. Sie ist eine Spitze mit durchlaufenden Fäden und wird gekennzeichnet durch den flandrischen Grund und durch Motive/ Figuren, die, nach der Natur gezeichnet, der Spitze den Namen geben, z.B. ‘ t Pastershoedje (das Pastorenhütchen), ‘t Kloeftje (der Holzschuh) und auch ‘t I-Iartje = das Herzchen (Abb. 9).

Das Herz in der Binche

Die flandrische Spitze ist eine kräftige Gebrauchsspitze. lhre feinere aber auch kompliziertere Partnerin ist die Binche. Sie wurde, nachdem sie im 19. Jahrhundert fast ausgestorben war, in unserer Zeit in Brügge zu neuem Leben erweckt. Den Namen hat sie von der südbelgischen Ortschaft Binche. Wie die flandrische Spitze wird sie mit durchlaufenden Fäden geklöppelt, aber der Grund ist nicht einheitlich, wenn auch der Schneeflockengrund (fond de neige) das eigentliche Kennzeichen der Binche ist. Sie hat ebenfalls Motive, die den Spitzen ihre volkstümlichen Namen geben, z.B. “de dubbelte bril” (die doppelte Brille), “de Pompadour”’ (Madame Pompadour), ” de Aanbidding” (die Anbetung), ” ‘t Hartje” = das Herzchen. Diese Hauptmotive stehen aber nicht allein, sondern sie werden von vielen Formen, ovalen, quadratischen, runden, bandartigen usw. begleitet.
So kann auch das Herz Begleitmotiv, z.B. in “de Pompadour “, sein . Bei der Randspitze (Abb. 10) wird die Herzform aus rechteckigen Formschlägen gebildet, und das Innere ist mit großen Schneeflocken gefüllt.

Das Herz in der Torchon-Spitze

Mit ihren geometrischen Mustern, Fächern, Spinnen und Formschlägen ist sie verhältnismäßig einfach zu arbeiten. Sie wurde und wird in vielen Ländern als sogenannte Gebrauchsspitze hergestellt. In ihr finden wir häufig das Herz, z.B. in einer Taschentuchspitze von Joan Kelly mit Herzen im Leinenschlag, Vierecken und Spinnen im Löchergrund, abgebildet im Info-Heft 3/87, S. 35, des Deutschen Klöppelverbandes. Im Info-Heft 3/85, S. 30 findet sich von Grete Golderer, nach einem Muster aus ihrem Häkelbuch “Häkelspitzen wie handgeklöppelt” gezeichnet, eine Klöppelspitze mit Herzen in Leinenschlag und Bögen in Ganzschlag. Aus Spanien hat Annelie Scharck einen Musterbrief mit Herzen in Halbschlag im Jungferngrund mitgebracht (Info-Heft 3/87, S.40). Ganz ähnlich wirkt eine Spitze, bei der das Leinenschlagherz aus dem Zackenrand entwickelt wurde (Abb. 11). In ihrem Buch “Klöppeln in Tirol” macht uns Grete Golderer alte Spitzenmuster aus Tirol zugänglich. Auch hier findet man in den kräftigen, klaren Gebrauchsspitzen das Herz (Abb.12). Daß im Erzgebirge neben vielen anderen Motiven auch das Herz seit langem verwendet wurde, ist aus der Sammlung von mundartlichen Spitzennamen, die Sieg[ried Sieber in seinem Buch “Die Spitzenklöppelei im Erzgebirge” aufführt, ersichtlich.8 “Ein Pfarrer in Scheibenberg nennt u.a. für die zweite Hälftedes 17. Jahrhunderts “Herzdrücke”. In einer Predigt  vom Jahre 1775 des Magisters Körner werden u. a. “Herzlein” angeführt, um 1810 werden “Herzeln” und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts “Herzele”  von Wilhelm Günther in seinen Erinnerungen genannt. Keine volkstümlichen Ausdrücke führt Josef Blau in seinem Aufsatz über das Klöppeln im Böhmerwald9 für das Herz an. Einzig in der Abbildung einer sehr zarten Spitze aus Drosau (tschechisches Städtchen in der Nähe von Neuem) sind unter anderen Figuren auch Herzen, von einern Konturfaden eingerahmt,  zu erkennen.

Im Kreis Annaberg wurde1935/36 zum ersten Mal eine “Erzgebirgsvereinstracht” vorgestellt.10  Die weiße Schürze der Tracht schmückt ein Klöppeleinsatz mit Tannen im Halbschlag und Herzen (Abb. 13) und evtl. jeweils einem Rechteck unterhalb der Herzen im Leinenschlag. Dieses Rechteck soll ein Stück Erz darstellen. Hier wurde wohl Bezug genommen auf den, auch im Harz bekannten Spruch: “Esgrünt die Tanne, es wachse das Erz, Gott schenke uns allen ein fröhliches Herz.”

Das Herz in Tüllgrundspitzen

1. Honiton-Spitze: In Devon (England) rund um den Ort Honiton wird seit ca. 300 Jahren die Honiton-Spitze geklöppelt. Blumenmotive sind durch einen Tüllgrund verbunden oder werden auf Tüll aufgesetzt. Da der Arbeitsaufwand sehr hoch ist, es wird mit sehr feinen, geschnittenen Fäden gearbeitet, beschränkt man sich heute gern auf Einzelmotive für Broschen, Anhänger oder Taschentuchecken. Und da kann es dann auch ein Herzmotiv sein.

2. Bucks-Point-Spitze: Aus der Grafschaft Buckinghamshire und den umliegenden Grafschaften der East Midlands (England) kommt die Buckingham(shire)- oder Bucks-Point-Spitze. Typisch für sie sind durchgehende Fäden, der Wabenschlag (honeycomb-stitch) und Leinschlagformen mit Konturfaden. Als Kirchenspitze für Decken gedacht, ist die schmale Herzspitze von Marie Claire Downham (Abb. 14).

3. Beverner Spitze: In Beveren (Belgien) wurden Tüllgrundspitzen insbesondere für niederländische Trachten gearbeitet.  “Auch in dieser Spitze gibt es stilisierte Ranken und Blumen mit verschiedenen Ziermotiven: das Röschen, die ‘sieben Kugeln’ und das ‘ brennende Herz ‘.” 11

4. Erzgebirgsspitzen: In einem Musterbuch im Museum von Annaberg-Buchholz (sächs.Erzgebirge) fand Erdmute Wesenberg Herzspitzen, die sie rekonstruierte. Sie wurden in der Kongreßmappe des Deutschen Klöppelverbandes1995 veröffentlicht.

5. Dänische Spitzen (Tondern): Interessant ist die Ähnlichkeit der Herzspitze aus dem Erzgebirge mit den aus Dänemark bekannten “Kleinen dänischen Herzen” (Danmarks lilie hjerte)  (Abb. 15). Während das “Kleine Herzchen” in HalbschIag geklöppelt wird, ist das große Herz (Danmarks store hjerte), wie das Herz der Haubenspitze aus Verden (vgl. Abb. 8), mit dem Rosengrund gefüllt (Abb. 16).

6. Liebenauer Spitzen: Wie schon aus dem Verdener Beispiel (vgl. Abb. 8) ersichtlich, kommt in den Liebenauer Spitzen das Herz ebenfalls vor.12  Abbildung 17 zeigt eine Liebenauer Point-de-Lille-Spitze mit Leinenschlagherzen, die sich auch in dem Museum in Verden befindet.

Das Herz in Bandspitzen

In verschiedenen Bandspitzen lassen sich Herzformen entdecken, so in den Spitzen aus Idria und aus Prettau in Südtirol.13

Bei einem runden Deckchen mit einem Durchmesser von 18 cm, das von Oberlehrer Helms in Hamburg entworfen und von der Spitzenklasse Zschorsch an der Kunstgewerbeschule in Hamburg ausgeführt wurde, ist jedes der sechs Bänder für sich gearbeitet. Die offenen vier Flächen, die das innerste Band durch seine Windungen bildet, sind mit herzförmig gelegten Bändern gefüllt (Abb. 18).

In Schneeberger Technik ist das Deckchen von Marianne Beier, Mustergestalterin der Produktionsgenossenschaft “Schneeberger Klöppelspitze”.  Bänder sind von innen nach außen in immer größer werdende Herzen gelegt, die jeweils mit einer Blütenformabschließen (Abb. 19).

Die russische Bauernspitze kennt das Herz-Motiv ebenfalls. In dem Buch “Klöppelspitzen aus Wologda” werden unter anderen alten Bezeichnungen für Spitzenornamente, wie “Widderhörnchen” und “Krähenfüßchen”, auch das “Herzchen” aufgeführt.14

Das Herz in Spitzendes 20. Jahrhunderts

Im letzten Abschnitt sollen sechs Klöppelspitzen von Entwerferinnen unseres Jahrhunderts zeigen,daß das Motiv “Herz” immer wieder für Spitzen unterschiedlichster Verwendung aufgegriffen wird. Zunächst ein Einsatz mit sich gegenüberstehenden Herzen in Leinenschlag im Löcherschlaggrund. Die Vierecke in der Mitte sind mit Rosengrund gefüllt (Abb.20). Der Einsatz wurde in einem Buch von Gussy von Reden 1921 veröffentlicht. In einem anderen Band der gleichen Autorin15 findet sich, von Josy Eck entworfen und ausgeführt, ein Viereck von 5 cm Seitenlänge mit einer Ranke und einem Herz in Halbschlag.

Von Leni Matthäi stammt ein Krägelchen mit großen Leinenschlagherzen in einem klaren Ganzschlaggrund (Abb. 21). Es erschien 1936 in der Zeitschrift “Frauenkultur im Deutschen Frauenwerk” und wurde als “netter Abschluß für festliche Kinderkleider” bezeichnet.

Die nächsten Beispiele zeigen, daß bei dem in den letzten Jahrzehnten neu erwachten Interesse an der Klöppelspitze auch das Motiv  “Herz” nicht vergessen wurde. In einer Kirchenspitze von Eeva-Liisa Kortelahti sind Herzen, in die ein Kreuz eingefügt wurde, in einem Flechtengrund aneinandergereiht (Abb. 22). Besonders interessant ist der Einsatz  “Heartily” (Abb. 23).  In einem Valenciennes-Grund sind Herzen abwechselnd in Leinen- und Halbschlag gearbeitet, wobei das Halbschlagherz eingerahmt und betont wird durch ein Herz aus viereckigen Formschlägen.

Als Tischband gedacht oder zuverwenden ist die doppelte Herzreihung in Abbildung 24. Der Klöppelbrief kommt aus Dänemark.

Zum Schluß ein weihnachtliches Motiv: eine Glocke, in die ein Herz eingefügt wurde, also zwei christliche Symbole. Das Besondere ist, daß die Entwerferin das Herz einmal nicht in Leinen· oder Halbschlag geklöppelt hat, sondern ein Band bildet die Form, und diese wird von netzartig geführten Fäden ausgefüllt. Je nach Betrachtungsweise zieht die Fadenführung den Blick entweder nach innen zur Herzmitte, oder es geht ein Strahlen von dieser Mitte aus. Dieses Herz, das man heute in verschiedenen Zusammenstellungen findet, wurde von Claire Burkhard entworfen. Sie nennt es”Schweizer Herzchen”.16

Diese Zusammenstellung ist natürlich nicht  vollständig. Esgibt noch viele “Herzen” zu entdecken: in Klöppelspitzen aus anderen Ländern, z. B. Schweden oder Finnland, in der neuen und neuesten Klöppelliteratur bei Spitzen für Deckchen, rund oder eckig, bei Spitzen zu einem besonderen Anlaß, z. B. einer Hochzeit usw ..

Hinriette Heinz

Lileraturmachweis:
1. Vgl. dazu: Gantner, Elda: “Symbole in der Kirchenspitze” in : Kirche und Spitze, Hrsg. Deutscher Klöppelverband e.V., o.J., S. 13ff
2. Biedermann, Hans: Knaurs Lexikon der Symbole, 1989, Droemer Knaur, München, S. 185
3. Die Bibel (Einheitsübersetzung), Kath. Bibelanstalt, Stuttgart, 1980
4. Heinz-Mohr, Gerd: Lexikon der Symbole, 1991, Verlag Herder, Freiburg i.Br., S.68 und 138
5. Vgl. hierzu auch die Abbildung des Altarantependiums mit Herz, Kreuz und Anker in der Kirche und Spitze in 1, S. 20, Abb. 13
6. Kraatz, Anne: Die Kunst der Spitze,1989, Verlag UlIstein GmbH, Frankfurt a. M./ Berlin, (deutsche Ausgabe), S.62/63
7. Burkhard, Claire: Faszinierendes Klöppeln/ P.M.: Nüw Modelbuch – Allerley Gattungen Däntelschnur, Faksimile des 1561 in Zürich erschienenen Buches, 1986, Bern/Stuttgart

8. Sieber, Siegfried: Die Spitzenklöppelei im Erzgebirge, Kapitel IX – Volkskundliches rund um den Klöppelsack, Leipzig, 1955, Friedrich Hofmeister
9. Blau, Josef: Die Spitzenklöppelei in Neuem (Böhmerwald), Zeitschrift für Österreichische Volkskunde,Wien, 0.J.
10. Schindler, G.: Zur Geschichte der Tracht der Erzgebirge, Auszug aus dem Arbeitsblatt Nr. 1/ 1987
11. Haarmann, Mariet/Wesenberg, Erdmute:Liebenauer Point-de-Lille-Spitzen, Hrsg. Deutscher Klöppelverband e.V., 1993, S. 8

12. wie vor, S. 199 u.a.
13. Graff-Höfgen, Gisela: Die Spitze – Ein Lexikon zu Spitzenkunde, Callwey-Verlag, München, 1983, S. 51, Abb. 35

14. Ketschemaikina, Walentina A./ Dehnel, Regine: Klöppelspitze aus Wologda, Barbara Fay Verlag, Gammelby, 1995, S. 16
15. Reden, Gussy von: Neue Klöppelspitzen in Bandspitzenart, Verlag für die Frau, Leipzig, Reprint 1994, S. 7

16. Burkhard, Claire: 50 New Bobbin Lace Patterns, B.T. Batsford Ltd., London, 1993

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Die Spitze, Deutscher Klöppelverband e. V., Ausgabe 2 / 96, Seite 16-19

Symbole in der Kirchenspitze

Dia-Vortrag vom Kongreß in Königslutter

Autorin: Elda Gantner

Spitzen,die der Kirche zum Gebrauch gewidmet sind, sind oft nicht als solche zu erkennen. Erst wenn die Musterung Zeichen enthält, die der christlichen Symbolik entnommen sind, kann die Spitze zu einer “Kirchenspitze”1 werden. Symbole sind Zeichen, die für einen anderen, geistigen Sachverhalt, dem Symbol nicht entsprechenden Gegenstand stehen.2 Diese Zeichen oder Symbole können aus geometrischen, floralen, tier- und menschenförmigen oder aus uneigentlichen Ornamenten, wie z. B. Schriftzeichen, gestaltet sein, und sie werden mehr oder weniger abstrahiert.

Bis heute wird Symbolik verwendet, um dem Betrachter Informationen zu vermitteln, die früher durch ihre Anschaulichkeit auch Analphabeten erreichen konnten. Die christliche Religion bediente und bedient sich ihrer, um dem “Leser” ihre religiösen Sachverhalte nahezubringen.

Neben der Vermittlung religiöser Inhalte durch Symbole gibt es Darstellungen abstrakten Inhaltes. Diese Veranschaulichungen von Vorstellungen, Zusammenhängen und Begriffen, die eigentlich nicht anschaulich sind, werden “Allegorie” genannt, (von griechisch-lateinisch: “anderssagen”). Sie bedienen sich häufig der Personifikation, d.h. der Darstellung eines abstrakten Begriffes mit Hilfe einer menschlichen Figur.3

Da seit dem 19. Jahrhundert die Inhalte von christlicher Symbolik zunehmend in Vergessenheit geraten, von den Inhalten der Allegorien ganz zu schweigen, versucht der Vortrag einige der wichtigsten christlichen Symbole, die auf Spitzen in der Kirche Verwendung finden, vorzustellen und zu entschlüsseln.4

Das Kreuz als eines der ältesten Symbole.

Kreuzzeichen sind bereits aus vorchristlicher Zeit als Symbole mit unheilabwehrendem Sinn überliefert. Der antike Gebetsgestus mit ausgebreiteten Armen als formale Anspielung auf die Kreuzform wird, neben anderen Zeugnissen, als Vorläufer des Kreuzsymbols im Christentum betrachtet. Andererseits wird im hebräischen Alphabet der letzte Buchstabe “taw” als “X” oder ,,+” geschrieben. In der griechischen Leseweise ergibt sich daraus ein “Chi”, als “X” geschrieben. Da das hebräische “Taw” auch im Alten Testament bereits als eschatologischess Schutz- und Eigentumszeichen galt und das “Chi” zudem mit der Initiale des Namens Christus in Zusammenhang gebracht wurde, wurde das Zeichen zum Siegel Gottes. Nach dem Neuen Testament ist es ein christliches Heilszeichen, die Quelle aller Gnaden und die Kraft der Wendung des Todes ins Leben, letztendlich der Glaube an die Auferstehung.

In der Taufhandlung diente es dann der “Versiegelung” als Schutzsignierung und rechtliche Übereignung des Täuflings an Christus. Zu einem allgemein anerkannten Zeichen konnte das Kreuz allerdings erst werden, als sich das römische Kaiserhaus unter Konstantin im 4. Jh. n. Chr. seiner zu Propagandazwecken als Heils- und Siegeszeichen bediente. Als unter Theodosius I. die Kreuzigung als Strafe abgeschafft wurde und das Kreuz somit keine negativen Assoziationen mehr hervorrief, wurde es auch künstlerisch umgesetzt. Nachdem das Kreuz zudem zur Signierung christlicher Häuser gebraucht und ihm schützende Kraft vor bösen Mächten nachgesagt wurde, fand es als Symbol und Weihezeichen auch Aufnahme in die künstlerische Ausgestaltung der Kirchen. In der Folgezeit stand das Kreuz in der Liturgie immer im Kontext der Bezeugung der Auferstehung. Dies gilt auch für die heutige Zeit.

Zu den geläufigsten Kreuzformen zählen das griechische und das lateinische Kreuz (Abb. 1). In der äußeren Form weichen davon nur unwesentlich ab: das Kreuz mit geschweiften Enden (Abb. 2), das Ankerkreuz als “Sinnbild des Glaubens und der Hoffnung auf Rettung in der Auferstehung”6, das Krückenkreuz, das Kleeblattkreuz und das Wiederkreuz. Das Jerusalem-Kreuz versinnbildlicht mit den vier kleinen Kreuzen in den Eckquadraten die fünf Wunden Christi. 7

Das Christogramm ist aus dem Andreas- oder liegenden Kreuz entstanden, das bereits seit der Anfangszeit des Christentums gebräuchlich ist. Dieses Kreuz wird gleichzeitig als Initiale des Christus-Namens gedeutet.

Wird nun in dieses “X” der zweite Buchstabe “Rho” des griechisch geschriebenen Namens Christus als “P” darübergeschrieben, dann entsteht das Christogramm genannte Kreuzzeichen. Es ist seit dem frühen 4. Jh. nachweisbar. Wird das Christogramm außerdem von einem Kreis, Kranz oder einer Ellipse umgeben bzw. dadurch betont, so drückt dies die schützende und lebenspendende Kraft des Christogramms aus. Das Staurogramm stellt das lateinische Kreuz mit ligiertem “Rho” am oberen Kreuzarm dar. Das “Rho” über dem Kreuz wird als Hilfe oder Gnade gedeutet, und folglich wird das Staurogramm als “im Kreuz ist Gnade” interpretiert. 8

Das Kreuz in Zusammenhang mit anderen Symbolen.

Dem Kreuz werden häufig “Alpha und Omega” hinzugefügt. Es sind die letzten Buchstaben des griechischen Alphabets, und sie haben unheilabwehrenden Charakter. Nach der Apokalypse 1,8 bezeichnen sich dort sowohl Gottvater als auch Christus als “Das A und das 0”. In der Verbindung mit dem Kreuz soll damit Christus als Gottheit gekennzeichnet werden.9
Statt des Christogramms wird oft die Abkürzung IHS des Namens Jesu gebraucht. Der Abkürzung wird häufig das Kreuz zugefügt. Die Schreibweise IHS entstand aus dem griechisch geschriebenen Namen IHCOYC (= Jesus), wobei die ersten beiden und der letzte Buchstabe übernommen wur- den.10 Sie werden als ,JIesus Hominum Salvator”, also als ,,Jesus, der Retter der Menschheit” oder “In Hoc Signo” gedeutet.

Zahlreiche Entwürfe, die als Altardecken mit Spitzenbesatz gedacht sind, zeigen als Motiv das Kreuz und einen Kelch im Wechsel. Der Kelch ist, wie das Kreuz, ein altes christliches Symbol. Er steht für das Opfer Christi, für die Eucharistie und das ewige Leben. 11 Bereits seit karolingischer Zeit erscheint er in der Kunst bei der Kreuzigung. Somit stehen das Kreuz für die Anrufung Gottes, seinen Opfertod und den Glauben an die Auferstehung und der Kelch in der Eucharistie für die feierliche Teilnahme der Gemeinde an der Erlösung.

Das Lamm Gottes.

Häufig zeigen Darstellungen das Lamm Gottes als sieghaftes Lamm mit der Siegesfahne und attributivem Stabkreuz, dem Symbol des Leidens und des Sieges Christi. Der Stab gilt dabei als magisches Verbindungsstück zwischen göttlich-geistigem und irdisch-materiellem Bereich, als Werkzeug und Mittel, durch welches Gott Zeichen tun will. 12 Stabkreuz und Siegesfahne kommen als Herrschaftsattribute aus der römischen Kaiserzeit.

Der Themenkomplex “Darstellung der Eucharistie” (Abb. 3). Die auf dem Ziborientuch dargestellten Motive zeigen den engen eucharistischen Bezug zu dem Gefäß, das das Velum bedeckt. Das vollständig in Brügger Blumenwerk ausgeführte runde Tuch mit einem Durchmesser von 50 cm ist in sechs Segmente aufgeteilt und zeigt gegen den Uhrzeigersinn das Christogramm mit Alpha und Omega, den großen Fisch als Christus mit der darüberstehenden Kurzform Ichthys, Weinranken mit Weintrauben, das Jesusmonogramm mit über dem H stehendem lateinischen Kreuz, eine Ähre umgeben von drei Lilien, die hier als Symbol von Christus stehen, und das Lamm Gottes mit dem eucharistischen Kelch.

Das Auge Gottes.

Obwohl das Auge bereits in biblitschen Quellen als besondere Zierde und Kostbarkeit gilt, als Spiegel des Herzens oder Fenster der Seele, und das immer wachsame und fürsorgliche Auge Gottes über allen Menschen ruht, übernimmt die religiöse Kunst erst von den Humanisten ein einzelnes Auge als Bildzeichen, das für Gott selbst steht bzw. noch mehr für die Tugenden von Gott und Mensch. Die bekanntere Bildformel für das Auge Gottes stellt jedoch ein Dreieck mit einem strahlenden Auge dar, dem Symbol für die Dreifaltigkeit in ihrer Allgegenwart und Allwissenheit. Es findet im 18. und 19. Jahrhundert in der religiösen Kunst, vor allem im süddeutschen Raum, Verbreitung als Altar-, Kanzel- und Orgelbekrönung, als Fassadenschmuck von Kirchen oder in Deckenfresken und in der Volkskunst. 13

Das gleichseitige Dreieck und mit ihm die Dreizahl steht für die göttliche Vollkommenheit, der Einheit von Gott Vater, Christus und dem Heiligen Geist, und ist das älteste Zeichen für die zeitlose Darstellung der Dreifaltigkeit. 14

Engel.

Das Wort Engel (Abb. 4) bedeutet im Hebräischen und Griechischen “Bote”, “Verbindung zwischen Gott und Menschen” . Es sind von Gottgeschaffene Wesen, die biblische Berichte und Gottesoffenbarungen ankündigen und mitteilen, also als Boten oder gar Vertreter Gottes fungieren, und sie können Diener von Christus und den Jüngern sein. 15 Man kann sie als Verkünder des Wortes Gottes interpretieren, als Mittler zwischen Gott und der Gemeinde, die sich in die Kirche zu einem Zwiegespräch mit Gott eingefunden hat.

Die Geistigkeit der Engel kann durch die Darstellung auf Wolken ausgedrückt werden; der Nimbus ist ein Zeichen ihrer Heiligkeit. Seit dem Barock weisen die Engel in der Kunst attributiv auf den Vollzug der Sakramente hin. 16

Quellen:

1 Vgl. zur Problematik des Begriffs “Kirchenspitze”: Elda Gantner und Marianne Stang: Zum Begriff “Kirchenspitze”. In: Kirche und Spitze. Hrsg. Deutscher Klöpelverband e.V., Geilenkirchen (1996). S. 5.

2 Jahn, Johannes: Wöterbuch der Kunst. 8., durchgesehene u. erw. Aufl., besorgt von Wolfgang Haubenreisser. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 1975. (= Kröners Taschenausgabe, Bd. 165). S.711.

3 A.a.O ., S. 19.

4 Zur Farbsymbolik, Zahlensymbolik und Marienverehrung vgl.: Kirche und Spitze. Hrsg. Deutscher Klöpelverband e.V. Geilenkirchen (1996).

5 Nach Fremdwörterbuch, Duden Bd. 5, 3., völig neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim 1974: “Lehre von den letzten Dingen, d.h . vom Endschicksal des einzelnen Menschen und der Welt.”

6 Lexikon der christlichen Ikonographie (abgekürzt im folgenden LCi), Hrsg. von Engelbert Kirschbaum, in Zusammenar- beit mit Günter Bandmann, Wolfgang Braunfels u.a., Bd. 1 bis 8. Sonderausgabe nach der Ausg. vom Herder Verlag Freiburg LBr. 1968. Freiburg i.Br. : 1994. Hier: Bd. 1, Sp. 119.

7 Weitere Kreuzformen vgl. : Elda Gantner: Symbolik in der Kirchenspitze. In: Kirche und Spitze. A.a.O., S. 14 ff und Uta Ulrich, a.a.O., S. 104 ff.

8 LCI 2, Sp. 564 f.

9 LCI 1, Sp. 456.

10 LCI 2, Sp. 337.

11 LCI 2, Sp. 497.

12 LCI 4, Sp. 193.

13 LCI 1, Sp. 222-224.

14 LCI 1, Sp. 528.

15 LCI Bd. 1, Sp. 626 u. 636.

16 A.a.O ., Sp. 634.

Anmerkung der Redaktion (die Spitze):

Der sehr dichte und ausführliche Vortrag von Elda Gantner sprengt in der Wiedergabe die  Möglichkeiten unserer Zeitschrift. Sie können ihn in seiner ganzen Länge, mit ausführlichem Bildmaterial versehen, in dem Buch “Kirche und Spitze” des Deutschen Klöppelverbandes nachlesen.

Die Foto dieses Artikels sind aus rechtlichen Gründen hier nicht veröffentlicht. Sie finden den bebilderten Artikel in der Zeitschrift.

Die Spitze, Deutscher Klöppelverband e. V., Ausgabe 2 / 97, Seite 12-18

Schwarz geklöppelt

Versuch einer kulturgeschichtlichen Spitzenbetrachtung

Autorin: Prof Dr. Lydia Immenroth (†)

Über der diesjährigen Jahrestagung des Deutschen Klöppelverbandes hier in Bühl steht als Motto Chantilly in der Mode – Mode in Chantilly.

Von der Spitzenforschung aus gesehen wird damit ein exklusives Thema angesprochen: Geht es hier doch um schwarze Spitzen, speziell um schwarzseidene Klöppelspitzen, die erst im 19. Jahrhundert aus dem Schatten der weißen Leinenspitzen heraustraten.
Während diese bis dahin markt- und modeführend und damit zugleich kultur- und stilgeschichtlich prägend waren, trat Mitte des 19. Jahrhunderts eine schwarze Netzgrundspitze ebenbürtig an ihre Seite, die wir seither “Chantilly” nennen nach einer Stadt in der Nähe von Paris.
Noch um 1900 war diese Chantilly-Spitze weit verbreitet. Vielleicht besitzt der eine oder andere gar noch ein solches Stück aus Urgroßmutters Zeiten und erinnert sich angesichts der dargebotenen Ausstellung daran.

Im Folgenden soll der Entwicklung der schwarzseidenen Chantilly in großen Zügen nachgegangen werden. Dabei ist nur von der handgearbeiteten Spitze die Rede, die noch Mitte des 19. Jahrhunderts marktbeherrschend war. Ihr Ersatz und ihre Verdrängung durch die Maschine in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ist ein aufregendes, aber eigenes Kapitel industriegeschichtlicher Entwicklung auf diesem textilen Gebiet, an dem gerade die schwarzseidene Chantilly-Spitze einen besonderen Anteil hat.
Ich sagte eingangs, mit dem Motto der Tagung werde ein exklusives Thema angesprochen. Es ist, allgemein gesehen, in der Spitzenforschung bisher kaum beachtet worden. Die Entwicklung der schwarzen Seidenspitze bis zu ihrer verspäteten Höchstform als Chantilly im 19. Jahrhundert wurde und wird als randständiges Thema angesehen. Denn im 17., vor allem aber im 18.  Jahrhundert vermochte sie der großartigen Entwicklung und damit Stilprägung der weißen Leinenspitze nicht zu folgen. Und so ist es verständlich, daß sie ein Stiefkind in der Forschung geblieben ist, obgleich ganz sicher schwarzseidene Klöppelspitzen im 17. und 18. Jahrhundert in beachtlicher Menge getragen worden sind. Jedoch sind – im Unterschied zur weißen Leinenspitze – aus dieser Hochzeit der Spitzengeschichte so gut wie keine Exemplare auf uns gekommen, die in den Sammlungen der Museen greifbar wären. Ein gravierendes Manko für die Forschung.

Dieses Fehlen früher historischer Objekte – vor dem 19. Jahrhundert – hat vielerlei Gründe. Sicher liegt ein Erklärungsgrund darin, daß schwarz gefärbte Seide, das Grundmaterial dieser Spitzen, weitaus anfälliger war gegenüber Zerstörung als das viel festere, selbst feinste Leinengarn der klassischen Spitzen. Die Schwarzfärber von Seidengarn – eine besondere Zunft in der historischen Färberei – arbeiteten mit Eisenoxyd, das auf die Dauer den Seidenfaden zersetzte. Wir sehen das deutlich an vielen alten Stickereien, bei denen der schwarze Seidenfaden ausgefallen ist und heute nur noch einzelne Fasern im Stoff hinterlassen hat.

Vielleicht auch sahen Sammler und Spitzenliebhaber aber schwarzseidene Klöppelspitzen als weniger wertvoll an wie die modeführenden kostbaren, oft auch sehr kostspieligen weißen Leinenspitzen und fanden sie daher nicht des Aufhebens wert. Trotzdem gab es auch im 17./ 18. Jahrhundert qualitätvolle schwarze Seidenspitzen, die durchaus teuer waren, vor allem, wenn sie aus den führenden Produktionszentren kamen, die die HighSociety Europas und der Welt belieferten.

Santina Levey, eine bekannte Spitzenforscherin aus England, berichtet z.B. aus archivalischen Quellen, daß der Earl of Northumberland 1660 für 90 Pfund – damals eine enorme Summe – “black flanders lacis”, schwarze flandrische Spitzen, kaufte, und der Anzug des Earl of Castlemaine anläßlich seiner Gesandtschaft an den päpstlichen Hof 1688 dick besetzt war mit tiefschwarzer flandrischer Spitze.1

International geschätzte schwarze Spitzen kamen also, wie die feinsten, hochmodischen leinenen Klöppelspitzen, aus Flandern. Sie beherrschten den internationalen Markt. Der bemerkenswerte Verbrauch flandrischer Klöppelspitzen kann in den Archiven aller europäischen Länder verfolgt werden. Die führenden flandrischen Spitzenmacher verstanden es schon früh, bei ihren Klöppelspitzen in Technik und Entwurf am besten auf stilistische Neuheiten einzugehen und ihre Spitzen den modischen Ansprüchen der Zeit hervorragend anzupassen. Sie unterhielten enge Beziehungen zum Pariser Hof, der seit Ludwig XlV. tonangebend in Europa geworden war, so daß sie modisch stets auf der Höhe der Zeit waren. Wie die schwarzen  Seidenspitzen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts ausgesehen haben, können wir mangels vorhandener Objekte nur anhand von Portraitdarstellungen rekapitulieren. Damit ist aber eine Schwierigkeit verbunden: Schwarze Spitze – sei es als Kleidbesatz, Haube, Fichu, Kopfschmuck jeder Art usw. – heben sich in der Regel auf Gemälden kaum von ihrem Untergrund bzw. ihrer Umgebung ab, so daß sie meistens nur undeutlich zu erkennen sind im Vergleich zu dem weißen Spitzenschmuck auf  zeitgleichen Darstellungen. Sie vermitteln meist nur eine ungefähre Vorstellung, die uns jedoch erlaubt zu sagen, daß ihre Formen und Ornamentsprache der weißen Leinenspitze folgte, soweit deren Umsetzung in das andere Material es erlaubte und der Verwendungszweck es gebot.

So sind z.B. die im 17./18. Jahrhundert beliebten Besätze in sogenannter Genueser Spitze in beiden Materialien in der Mustergestaltung gleich. Sie ähneln dem Spitzentyp, den wir heute “Cluny” nennen, sind also Flecht- und Leinenschlagspitzen mit Formschlägen, die vornehmlich als Kleidbesätze Verwendung fanden.

Die Eingabe eines Spitzenfabrikanten aus der  Umgebung von Paris, der offenbar den französischen Hof belieferte, bestätigt das Gesagte: Er stellte “Genueser Passements” her, beliebte Besatzspitzen im Barock, für deren hervorragende Qualität Genua bekannt war. 1725 ersuchte er den König um ein Darlehen für seine Fabrik, wobei er anmerkt, “daß seine Vorfahren und er seit mehr als hundert Jahren in der Umgebung von Paris schwarze Seiden- und weiße Leinenspitzen machten, die er seit seiner Reise, welche er 1705 auf Order des Königs nach Genua gemacht habe – offenbar zur Hebung der französischen Produktion – noch vollkommener herstelle”.2 D.h.: Sein Betrieb war nicht führend in der Spitzenmode, aber er produzierte gute Qualitäten an modisch gängigen Klöppelspitzen, auch an seidenen Klöppelspitzen.
Das Urteil darf allgemein für die französische Klöppelspitzenindustrie des 17. und 18. Jahrhunderts gelten. Und man muß zustimmen, wenn S.Levey sie im Vergleich zu Flandern als mittelmäßig einstuft im Gegensatz zur französischen Nadelspitzenproduktion, die Dank der staatlichen Protektion durch Colbert noch zu Lebzeiten Ludwig XlV. die anfangs führende venezianische Nadelspitze wirtschaftlich und künstlerisch überrundete.

Es sei hier angemerkt, daß Frankreichs traditionelle Klöppelspitzenproduktion außer in französisch Flandern, das in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts (1668 und 1678) durch die Kriegspolitik Ludwigs XlV. einverleibt wurde (Valenciennes, Lille, Bailleul), in der Auvergne lag mit den alten Zentren Aurillac und Le Puy. Beide Städte lagen am Haupthandelsweg nach Italien und Spanien, der auch für ihren Spitzentransport benutzt wurde. Ferner gab es Spitzenproduktionen in der Normandie, wo Caen vor allem im 18. Jahrhundert in der Klöppelspitze einen ersten Platz einnahm. Und es wurden Klöppelspitzen in der ÎIe-de-France gemacht, der Region um Paris, wo sich bereits im 17. Jahrhundert ein eigener Netzgrund entwickelt hatte, den wir heute Pariser Grund nennen. Die Herstellung von Seidenspitzen war überall ein eigener Produktionszweig mit einem beachtlichen Export vor allem nach Spanien, Portugal und Südamerika, in Länder also, in denen sich Seidenspitzen einer besonderen Beliebtheit erfreuten.
Als Ludwig XlV. 1660 die spanische Infantin Maria Theresia heiratete, kamen am französischen Hof auch schwarze Seidenspitzen en vogue. Der Hofadel trug sie als Kompliment an die Heimat der neuen Königin. Sie erschienen als Accessoires zur Kleidung, ja ganze Uberwürfe über Roben aus Gold- und Silberbrokat. “Ganz Schwarz auf Weiß steht gar schön und ehrbar, wenn man einen weißen oder silberfarbenen Rock dazu trägt” 3, schreibt ein junger Herr von Lüttich 1672 als Modebericht aus Paris an seine Tante. Schwarz – und damit das Tragen schwarzer Spitzen – war nicht mehr allein üblich im Trauerfall, als Privileg der alten Dame oder zu irgendwelchen rituellen Festen, sondern war “modisch in”. Und da der französische Hof zum führenden Modezentrum Europas geworden war, erfaßte der Trend in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts die führenden Schichten des ganzen Kontinents. Daß auch der Mann an ihm beteiligt war, zeigt das Bild des Comte de Toulouse als Novize des Ordens du Saint-Esprit. Ähnlich trug auch der Zeremonienmeister zur Krönung Ludwigs XV. am 25.10.1722 folgende Gewandung: ein offenes Wams aus Silberstoff, geschmückt mit Silber Spitzen und Bändern, in den Schlitzen schwarzer Samt, ausgestopfte Hosen mit spitzengesäumten Schlitzen und Silberbändern, einen Umhang mit Haube aus schwarzem Samt mit Silberstoff-Ausfütterung, die Außenseite mit schwarzer Spitze besetzt und die Innenseite mit silberner.4

Moden kommen und gehen, und so kamen und gingen auch Spitzenmoden. Das 18. Jahrhundert, in dem Flandern seine leinenen Klöppelspitzen zu höchster Feinheit, Zartheit und erlesener ornamentaler Gestaltung entwickelte, brachte in seinem 2. Drittel wieder eine Welle der seidenen Klöppelspitzen eigener Art. Geschätzt wurde dabei vor allem das weiche, schmeichelnde, auch leichte und glänzende Material. Ob schwarz oder weiß – man nannte sie allgemein “Blonden” nach dem Naturton der Seide.

Mitte des Jahrhunderts trug die modebewußte Gesellschaft am französischen Hof und damit in ganz Europa “Blonden”. “Es war eine Mode”, schreibt Santina Levey dazu, “die auch den zweitrangigen Spitzenzentren von Frankreich und England, von Italien, Spanien und Skandinavien und sogar Deutschland und Amerika einen Impuls gab.” 5
Der Bedarf war in ganz Europa riesig, denn der Spitzenluxus war nicht nur in den Oberschichten, sondern allgemein populär geworden. Er beschäftigte Tausende von Arbeiterinnen und verschaffte Fabrikanten wie Händlern gute Gewinne auf dem Markt. Schwarze wie weiße “Blonden” waren ein Renner. In der Regel bestanden sie aus einfachen Netzgründen mit verstreut eingefügten Formschlägen oder eingearbeiteten einfachen Musterpartien, die durch einen dickeren Faden erzeugt wurden. In Frankreich favorisierte ein königliches Dekret vom 24.6.1763 ausdrücklich ihre Produktion.6 Hatten doch alle Luxusindustrien für das Land eine außerordentliche wirtschaftliche Bedeutung. Großen Erfolg hatte die Blondenproduktion in der Normandie und der ÎIe-de-France, der Region um Paris. M. Fouriscot berichtet, daß es 1750 in Caen, einem  Spitzenzentrum der Normandie, 18 Spitzenmanufakteure gab, die zu den besten Steuerzahlern der Stadt gehörten. Sie unterhielten weite Handelsbeziehungen, denn besonders die “Blonden von Caen” waren berühmt ihrer Leichtigkeit, ihres brillanten weißen Seidengarnes und ihrer perfekten Ausführung wegen. Produziert wurde im Verlagssystem, d.h. als Hausindustrie, in der – vereinfacht gesagt – den Arbeiterinnen von einem Manufakteur Garn und Musterbriefe für ihre Arbeit vorgegeben wurden. Dieser nahm ihnen die Produkte gegen Bezahlung des Arbeitslohnes ab und brachte sie auf den Markt.

Die Ausbildung zur Arbeit als Klöpplerin war ungeregelt und ein besonderes Problem, auf das hier nicht näher eingegangen werden kann. Angemerkt sei nur, daß sehr oft die Ärmsten der Armen in diese “Lehre” gingen, der sich vielfach die Klöster annahmen. Waisenhauskinder fingen schon mit sechs bis sieben Jahren an, lernend zu arbeiten. Somit bekam wenigstens eine große Zahl vor allem an Mädchen eine Ausbildung, wenn sie auch nur mageren Lohn und keineswegs ein sicheres Einkommen brachte. Denn der Absatz von Spitzen unterlag den Launen der Mode, die wechselte, und eine soziale Absicherung gab es nicht. Die einfachen Klöpplerinnen in der Stadt rechneten zu den Ärmsten der Armen, auf dem Lande waren sie weniger benachteiligt und ebenso waren die mit geübtem Sachverstand Arbeitenden etwas besser gestellt.

Gearbeitet wurde auf Karton, die schwarzen Blonden auf weißem, die weißen auf rötlichem Karton. Das Muster war mit der Hand vorgestochen.
Erst im 19. Jahrhundert wurde ein Maschinchen zum Stechen erfunden. Nicht jede Arbeiterin konnte weiße Blonden machen, berichtet Mrs. Palliser in ihrer Mitte des 19. Jahrhunderts geschriebenen Geschichte der Spitze über die Produktion.7 Wer z.B. schweißige Hände hatte, mußte sich auf die Produktion schwarzer Blonden beschränken. Der Sauberkeit wegen wurde im Sommer im Freien gearbeitet, im Winter auf dem Lande gerne auf dem Boden über dem Kuhstall, wo es warm und rauchfrei war, weil man durch die Wärme der Tiere kein rauchendes Feuer brauchte. Im allgemeinen machte man weiße Spitzen im Sommer, die schwarzen im Winter. Sie wurden in allen Preislagen gearbeitet. Der Verdienst war in Caen höher als anderswo – in der Regel 15 bis 40 Sous täglich – bis zur großen Krise, die 1760 bis 1772 einsetzte. Sie brachte allein in Caen 65 Bankrotte und damit viele Arbeiterinnen in Not.8

Überschlägt man die Berichte aus der Zeit, so scheint es, daß in Caen ein besonderer Typ der im 18. Jahrhundert allgemein “Blonden” genannten Seidenspitzen zur Hochblüte gebracht worden ist. Es ist der Typ, den wir heute Blonde nennen im Unterschied zur Chantilly. Ihr Netzgrund ist ein fond simple, ein Lille-Grund, aus fest gedrehtem Garn, in den das Ornament mit einem fülligeren, weicher gedrehten Faden in Leinenschlag eingearbeitet ist und von einem dickeren Konturfaden umzogen wird. Caen war mit diesem Typ noch Mitte des 19. Jahrhunderts so erfolgreich, daß er von der Maschinenspitze in Calais imitiert worden ist. Er erscheint vornehmlich in weiß, kommt aber auch in schwarzer und vor allem farbiger Seide vor.
Blonden dieses Typs waren die Modespitzen des Empire. Sie wurden am Kaiserhof getragen und von Napoleon favorisiert im Interesse der französischen Wirtschaft und des französischen Ansehens als modeführendes Land.

Während die Spitzenmanufakteure von Caen qualitätvolle Blonden im heutigen Sinne des Wortes erfolgreich auf den Markt brachten, zeichneten sich die Spitzenmacher der Île-de-France, rund um Paris, vor allem durch ihre schwarzen  Seidenspitzen aus. Zentrum der Produktion war Mitte des 18. Jahrhunderts das Städtchen Chantilly.
Noch um 1900 sprach man in der französischen und belgischen Spitzenindustrie vom “Fond chant” , wobei man “chant” als Abkürzung für Chantilly brauchte. Fond bedeutete nach einem eigenen Verständnis das insgesamte Erscheinungsbild dieser Spitze, ihr Zusammenspiel von Grund und Ornament. Es ist bezeugt, daß die durch die Manufakturen von Chantilly im 18. Jahrhundert geprägte Spitzenart einen durchschlagenden Erfolg gehabt haben muß und, zu einem Typ geworden, mehr als ein Jahrhundert lang breite Nachahmung gefunden hatte. Wir sehen in diesem Fond den Vorläufer unserer heute Chantilly genannten schwarzen Seidenspitze. Sie hat den Namen des im 18. Jahrhundert von sich reden machenden Herstellungszentrums als Typenbezeichnung vermutlich im 19. Jahrhundert übernommen.

Seidenspitzen im Fond chant waren Spitzen im Pariser Grund, des traditionell in der Île-de-France seit dem 17. Jahrhundert geklöppelten Grundnetzes, in das die Ornamente im Halbschlag eingearbeitet und durch einen dickeren Konturfaden hervorgehoben wurden. Neu war der Einsatz eines feinen, stark gedrehten Seidengarnes, Grenadine genannt, das der Spitze – je nach Feinheit des Fadens – einen zurückhaltenden, matten Seidenglanz gab. Vermutlich kam es aus den berühmten Seidenspinnereien von Lyon.
Für das 19. Jahrhundert nennt Verhaegen, ein belgischer Spitzenkenner, eine spezielle Spinnerei in Alais – heute Alez, und M. Fouriscot gibt drei Stärken an, die eingesetzt wurden. Sie wurden nach dem Verhältnis von Fadenlänge zu Gewicht berechnet:

für gewöhnliche Spitzen: 80 000 m pro 1 kg
für feinere Spitzen: 120.000 m pro 1 kg
für feinste Spitzen: 500.000 m pro 1 kg9

Dabei stiegen die Preise sprunghaft an.

Die schwarzseidene Neuerscheinung im Fond chant – sie wurde seltener auch in weiß gemacht – entwickelte ihre Ornamentik in Anlehnung an die Mitte des 18. Jahrhunderts beliebten Mechelner Leinenspitzen. Verhaegen weist auch auf Bezüge zur Keramikproduktion in Chantilly hin, die von großer Schönheit gewesen sein soll und einen guten Ruf hatte.
Daß Musterzeichner für beide Industrien gearbeitet haben, ist zu vermuten. Mir ist nur eine Abbildung aus dem Musterbuch eines königlichen Hoflieferanten aus Chantilly bekannt, die bei Palliser abgedruckt ist. Danach ist zu vermuten, daß in der Ornamentsprache die allgemeinen Themen der Zeit aufgegriffen wurden wIe Blumen, Blumenkörbe und Vasen im Rocaillestil, die in den Mechelner Spitzen und auch in den feineren Leinenspitzen mIt Pariser Grund aus der Zeit zu finden sind.

Beliebt war in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts die Verbindung des Pariser Grundes mit dem LilIe-Grund, der in der Sprache der Zeit auch als “Fond d’Alençon” bezeichnet wurde. Wir kennen einige schwarze Fond chants dieser Art aus dem späten 18. Jahrhundert – hier ein Besatz aus Le Puy. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und auch später noch treten sie in großer Zahl in allen Klöppelregionen Europas auf. Ihre Komposition wird durch die beiden Maschengründe bestimmt, von denen der Lille-Grund das Muster trägt und durch seine einfache Lochstruktur klar heraushebt, während der unruhigere Pariser Grund einfach als Netz erscheint, in das höchstens kleine Einsprengsel gelegt sind. Daß solche “gemischten Fonds chants” eigene Probleme darstellen, weil es einer Trennung und zugleich Verbindung beider Netzgründe bedarf, mag am Rande noch erwähnt werden.

Marie Antoinette gehörte mit ihren Töchtern und Hofdamen zu den letzten großen Verbrauchern von Spitzen aus Chantilly. Die Revolution brachte dIe ProduktIon zunächst zum Erliegen. Speziell die Seidenspitzenherstellung wurde dann aber – neben der französischen Nadelspitze – in der Ära Napoleons wieder aufgebaut. Wie schon gesagt, kamen ab 1805 die weißen Blonden – Blonden im heutigen Sinne – in Mode. Sie waren relativ schnell zu arbeIten daher nicht zu teuer, waren leicht und luftig und vermittelten damit das neu aufgekommene Lebensgefühl. Sie vertraten den Stil des Empire schlechthin. Ihre besten Qualitäten wurden wieder in der Normandie und der Île-deFrance produziert.

Als dann Ende der 30er Jahre die schwarze Seidenspitze aus ihrem Wellental der Mode wieder auftauchte und sich für gut 30 Jahre – bis etwa 1870 – zu einer neuen Modewelle entwickelte, hatten sich die Manufakteure aus der Île deFrance – und damit aus Chantilly – in die ländliche Normandie zurückgezogen, um den steigenden Lohnanforderungen in der Umgebung der Hauptstadt zu entgehen.
Hier wurde dann Bayeux, und nicht weiter Caen, zum Zentrum einer neuen-alten Seidenspitzenproduktion. Sie gab dieser Spitze unter dem alten Namen Chantilly erstmals das große internationale Renommee. Ihre Höchstleistungen erregten auf den internationalen Gewerbeausstellungen, den beliebten Weltausstellungen der Zeit, allgemein Aufsehen und wurden mit Medaillenauszeichnungen bedacht.

Nach dem Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts war diese Spitze eine schwarze Blonde à fond d’Alençon. D.h., daß der traditionelle Pariser Grund, der Fond chant, gegen den leichteren, duftigeren und auch schneller zu arbeitenden Lille-Grund ausgetauscht worden war. Eine Vervollkommnung der Technik erlaubte in den 40er Jahren das unsichtbare Zusammenfügen der herstellungsbedingten schmalen Einzelstreifen zu breiten Besatzstreifen und Formstücken, wie die Mode sie forderte.

Ab etwa 1850 war es der Gipfel der Eleganz, die neuen schwarzseidenen Luxusobjekte in Chantilly zu tragen. Sie schmückten als breite Volants die weiten Krinolinenröcke der Zeit, erschienen in Parallele zu den, beliebten Kaschmirschals als lange und breite Umschlagschals oder Dreiecktücher, die ein Vermögen kosteten. Es gab jede Art von Accessoires zur Toilette: Schirme, Fächer, Halstücher aller Art, Hauben, Kopfbedeckungen, Handschuhe, kurz alles, was die Mode einer gepflegten Dame abverlangte.
Chantilly-Spitzen erschienen in allen Qualitäten und Preislagen, fein bis grob, technisch perfekt bis nachlässig gearbeitet, reich bis sparsam und auch einfallslos ornamentiert – und manchmal, wenn auch selten, in weißer Seide.

Chantilly wurde bald in allen Spitzenregionen Europas gearbeitet. So berichtet z.B. ein Schneeberger Musterstecher Schneider 1860 aus dem Erzgebirge, daß es zwei Parteien unter den Spitzenfabrikanten gegeben habe, die sich gegenseitig befehdeten: die deutsche und französische. Die ersteren machten “feine, schwarze und weiße Modefassons, ähnlich den belgischen und französischen”.
Sie wurden mit französischen Etiketten versehen (Sieber, S. 32) und als “Chantilly” (S. 35) “bezeichnet”.l0 International führend waren Frankreichs Produzenten in Bayeux, denen nach den ersten Erfolgen auf dem Weltmarkt bald schon eine belgische Konkurrenz mit Zentrum in Geraardsbergen / franz. Grammont erwachsen sollte. Wie immer im Modehandwerk wurde das, was die führenden Häuser auf den Markt brachten, von der Masse der Unternehmen kopiert, variiert und für den Massenbedarf ausgerichtet. Chantilly-Spitzen begleiteten 20 Jahre lang, von 1850 bis 1870, die anmutige Mode des 2. Kaiserreiches, wie die Franzosen in der Zeitrechnung des 19. Jahrhunderts sagen. Zu ihren Trendsettern gehörte Kaiserin Eugenie, wieder eine Spanierin auf dem französischen Thron. Sie liebte schwarze Spitzen, die sie an ihre Heimat erinnerten. Sie machte zahlreiche Bestellungen in führenden Häusern. Sich ihrer Stellung bewußt, nannte sie diese kostbaren Objekte “ihre Politischen, weil sie durch ein solches Beispiel Nachahmung zu finden und der französischen Industrie hilfreich zu sein wünschte”.11

Unter den führenden Firmen der Zeit war die Manufaktur Lefébure in Bayeux die bedeutendste. Sie erzeugte Objekte von technisch höchster Qualität und erlesenem Design. Die Entwerfer des Hauses verstanden es, Ideen in Spitze umzusetzen und immer wieder neuen modischen Anforderungen anzupassen. Aber das alleine brachte noch nicht den Erfolg. Auch das verschiedene Seidengarn wurde überlegt und zielgerichtet eingesetzt. Dazu hatte das Unternehmen eine gut geschulte Arbeiterschaft. Lefébure war klar, daß nur sorgfältig arbeitende Patroneusen und Stecher die präzise Umsetzung einer Zeichnung in einen Klöppelbrief garantierten, wovon die Güte der Produktion wesentlich beeinflußt wurde. Diese erfolgte in Arbeitsteilung. Sie wurde bei ihm nicht mehr wie im 18. Jahrhundert betrieben, sondern systematisch im Sinne neuzeitlichen industriellen Denkens. Das hieß zugleich Spezialisierung der Arbeiterschaft. Dabei wurde bis zum Montieren der Einzelteile zu einem ganzen Objekt höchste Perfektion verlangt, die wiederum nur durch Spezialisierung zu erreichen war. Welche wirtschaftliche Bedeutung diese Spezialisierung hatte, mag an folgendem Beispiel deutlich werden: Ein Schal, zu dem früher zwei Frauen sechs Monate brauchten, konnte nun, geteilt in Stücke, von zehn Frauen in einem Monat gefertigt werden.12 Diese zehn Frauen aber mußten die gleiche Hand haben, denn ein Teilstück mußte genau wie das andere gearbeitet sein, wenn das Gesamtstück einheitlich ausfallen sollte.

Perfektion und Arbeitsdisziplin ist das Geheimnis so mancher edlen Chantilly-Spitze dieser Zeit. Lefébure sorgte für diese Perfektion, indem er sich tatkräftig für die Verbesserung der Ausbildung in den Klöppelschulen der Region einsetzte. Es hat den Aufstieg einer ganzen Generation an Klöpplerinnen zur Folge, kam diesen – wie natürlich auch seinem Unternehmen – zugute und trug mit dazu bei, den Spitzen von Bayeux Weltruf einzubringen. Mitte des 19. Jahrhunderts arbeiteten im Calvados mehr als 50 000 Spitzenarbeiterinnen.13

Als 1870 das 2. Kaiserreich in Frankreich unterging, setzte auch der Verfall der Chantilly-Mode ein und es gab einen rapiden Verfall der Produktion. Hinzu kam die Konkurrenz der Maschine. Sie verstand es, speziell Chantilly-Spitzen täuschend ähnlich zu imitieren und drückte damit die Preise in einem für die Handspitze unerträglichen Maße. Trotzdem gab es noch ein Aufleben der schönen Seidenspitzen um die Jahrhundertwende, und wie die Ausstellung zeigt, gab es noch einmal Chantilly von guter Qualität. Aber die Muster stagnierten und blieben, bei kleinen modischen Abwandlungen, dem Stil der Jahrhundertmitte verhaftet. Offenkundig fehlten die notwendigen Impulse des Marktes zum Schritt in die Moderne, der in der Spitzenproduktion allgemein nur äußerst zaghaft getan wurde. Vielleicht auch war die Zeit für eine handgearbeitete Chantilly als Spitzentyp abgelaufen. Als ausgesprochenes Accessoire zur Kleidung – sie war niemals eine Wäschespitze – war sie für den allgemeinen Gebrauch durch die maschinellen Imitate zu ersetzen. Und diese nannte die Maschinenindustrie ohne Bedenken nach ihrem Vorbild ebenfalls “Chantilly”.

Maschinenspitzen Genre Chantilly haben auf dem Markt der Mode bis heute überlebt. Handgearbeitete Chantilly sind Liebhaberobjekte geworden!

Quellen:
1 Levey, Santina, M., Lace, A History, London 1983, S. 29 Anm. 26 und S. 39
2 Schuette, Marie, Alte Spitzen, 4. neubearb. Auflg. Berlin 1964, S. 113 Anm. 67
3 Boehn, Max von, Die Mode im 17. Jahrhundert, 5. Auflg. München 1964, S. 113
4 Ratzki-Kraatz, Anne, The Elegant Art of Lace, in Maeder, Hr A Elegant Art, Fashon & Fantasy in the Eighteenth Century, Katalog des County Museums of Art, Los Angeles 1983, S. 119
5 Levey, a.a.O., S. 73
6 Fouriscot, M., Dentelle normande, dentelle de Caen, in: La Dentelle, Jg. 1986, Nr. 24, S. 6
7 Palliser, Bury, An illustrated Guide to Lace, Reprint 1986, S. 224
8 Fouriscot, a.a.O., r. 25, S. 7
9 ebenda, Nr. 28, S. 6
10 Sieber, Siegfried, Die Spitzenklöppelei im Erzgebirge, Leipzig 1955, S. 32 und 35
11 Boehn, Max von, Die Mode im 19. Jahrhundert, 2. Auflg. München 1963, S. 71/72
12 siehe dazu Palliser, a.a.O., S. 226
13 Fouriscot, a.a.O. Nr. 26, S. 7

Die Foto dieses Artikels sind aus rechtlichen Gründen hier nicht veröffentlicht. Sie finden den bebilderten Artikel in der Zeitschrift.

Die Spitze, Deutscher Klöppelverband e. V., Ausgabe 3 / 1996, Seite 28

Withof-Duchesse

Autorin: Yvonne Scheele-Kerkhof

Withof ist eine neue niederländische Spitze, die aus der Duchesse Spitze entstanden ist, so wie sie in der Koninklijke Kantwerkschool in Sluis geklöppelt wurde. Duchesse ist hauptsächlich gekennzeichnet durch Blumen, Kleeblätter, Kugeln, Schnörkel und aufgesetzte Nerven. Diese Motive wurden geordnet und durch einen Grund miteinander verbunden.
Schwester Judith, die Entwerferin und treibende Kraft hinter Withof, ist als Kind hier zur Schule gegangen, um Duchesse klöppeln zu lernen, bis die Schule 1935 geschlossen wurde.
Nachdem Schwester Judith wegen ihres hohen Alters zurückgetreten war, hatte sie mehr Zeit zu klöppeln. Sie fing an, mehr Tiefe in die Spitze zu bringen und einiges in der Technik zu ändern – wie wir doch immer uns darum bemühen, die Spitze zu verschönern.
Der Name Withof Duchesse ist im Jahre 1985 entstanden. Der Name einer Spitze erklärt meistens, wo die Spitze herkommt oder wo die Spitze viel geklöppelt wurde. Withof ist der Name des Klosters, in dem Schwester Judith wohnt.

Duchesse: Es wurden Duchesse-Motive geklöppelt. Die Art und Weise war verschieden, und außerdem wurden alle Motive gerollt – ein Bündel, welches um jedes Motiv läuft. Das Bündel bewirkt einen wundervollen scharfen Rand, außerdem gibt es der Spitze eine Tiefe. Beim nächsten Motiv wird nämlich über dem Bündel an den Stegen eingehäkelt, wodurch auf der rechten Seite der Spitze das erste Teil über dem zweiten liegt. Die Spitze erscheint dadurch dreidimensional.
Das erste niederländische Withof-Duchesse-Buch erschien 1988. 1991 wurde das englische Buch “Withof Lace” herausgebracht. Beide Bücher sind heute beim Verlag nicht mehr vorhanden.
Jetzt aber, Jahre später, sind diese typischen Duchesse-Kennzeichen in Withof verschwunden. Die Muster sind mehr stilisiert, und die Motive laufen ineinander. Es ergibt eine wunderschöne Linie. Genau daran erkennt man Withof. Man kann hier also nicht mehr von Withof Duchesse reden, weil die Duchesse-Kennzeichen nicht mehr vorhanden sind.
Es ist notwendig, die Entwürfe hauptsächlich im Leinenschlag zu klöppeln, weil so die Motive am besten zum Ausdruck kommen. Schnell wird dadurch die Spitze zu schwer. Um dieses zu vermeiden, wird hier und da ein Halbschlag geklöppelt, ein kleines Loch oder eine andere Dekoration. Da die Entwicklung dieser Spitze weitergegangen ist, ist klar, daß ein neues Buch erwünscht ist. Es sind neue Elemente hinzugefügt worden, und manche Techniken haben sich einigermaßen geändert, weil man in der Spitze immer die schönste Lösung sucht. Das neue Buch wird im Laufe des nächsten Jahres vom Batsford Verlag viersprachig  herausgegeben mit dem Titel “50 Dutch Lace Patterns, Withof and Duchesse”.

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